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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 7
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Behne, Adolf: Werkstattbesuche, 4, Heinrich Zille
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0294

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3urückßaltung, Befcßeidenßeit und innigen 3arti)eit wefentlicß fympathifcßer. 3ille hatte
ein ehrfürchtiges Stillefein vor der Natur, und fcßon deshalb ift er nie ein Naturalift
gewefen.
3ille ift im Grunde der Seele ehrlich, duldet deshalb keinen (Uiderfprucß zwifchen
Glauben und Fun (was der letzte Gegenfat} ift von 7UAS und 7U1E), und malte er in
jungen Jahren im Banne der allgemeinen Kunftanfchauung naturaliftfche Landfchaften,
fo konnte er vor fiel) felbft nicht anders urteilen, als es müffe der Sinn diefer Land-
fchaften fein, die Natur wirklich in aller Schönheit, Fülle und Reinheit, in allen ihren
fcßöpferifcßen Flundern zu erfaffen und zu fpiegeln. Äuf den Gedanken, es fei die
Natur nur ein beguemer Anlaß, die eigene Gefcßicklicßkeit im Äguarellieren zu be-
weifen, konnte er unmöglich kommen. Und als er fich nun, ftets der Gabe eigener un-
erbittlicher Kritik bewußt, gefteßen mußte, daß er bei allem unendlichen Fleiß unend-
liche Meilen abbleiben müffe vom einfachften Sein eines kleinen 3weigleins am Baume,
konnte er fich) unmöglich als ein malerifcßer Bravo tröften nach dem Rezepte des Prä-
fidenten der Sezeffion in der Sonnenfinfternis des Arno Fjolz: wDet Kunft keene Natur
is . . . . wenn Se damit komm’n, uff die Art könn’n wir natürlich alle inpacken! ....
Da find Sie der erfte nicß! .... Man follte wirklich glooben, mancher Menfcß hätte
in feinem Leben noch keenen Fliederboom gefeßen! .... Ick würde mir fo ne Motten
erft jaßnicß in Kopp fetten! .... Det ’n jemalter Baum keen jewacßfner is . . . . mein
Jott!“ Solchen, das Gewiffen einfcßläfernden Ulaßrßeiten gegenüber hielt es 3äle viel
eher mit Fjollrieders [Dort „alles oder nichts“. („Sonnenfinfternis“ S. 176.)
Unmöglich konnte 3äle diefen Fleg weiter verfolgen. Er hörte alfo auf, im Gefüßl,
als Künftler erledigt zu fein. Aber weil er eben doch) ein Künftler war, führte ißn
feine Natur von felbft auf den Fleg der Freiheit. UCIeil 3ille eine Natur ift, fo ift er
kein Naturalift geworden.
Der Menfcß findet feine Freiheit im Bekennen. 3äle ift ein Bekenner. Und ich) weiß
nicßt, ob es einen folcßen geben kann, der für das, was er bekennt, nicßt die letzte,
ßüllenlofefte Sachlichkeit von fich) felbft verlangte. Diefe Sachlichkeit ift die Bafis feines
Funs, feiner Kunft. Es ift nicßt waßr, daß man etwas Flertvolles fcßaffen kann, indem
man die Sache überfpringt. Flir können die Kunft gar nicßt anders als vom Inhalte
aus begreifen. Der Drang zu künftlerifcßer Geftaltung entfteßt dort, wo ein Erleben
übermächtig wird, wo es ficß mit ftärkfter Intenfität wirklich groß in das volle Be-
wußtfein erßebt. Alfo löft ein Inhalt die Kunft überhaupt erft aus, und da follte der
Künftler im Erfaffen diefes Erlebniffes, dem er fein Schaffen allein verdankt, treulos,
gleichgültig und nebenher fein können?
Das beftimmende, fcßickfalßafte Erleben Fjeinricß 3äles ift das Dafein des Proletariats
geworden, aus dem er felbft ftammt. Als er im Beginn der neunziger Jaßre das zu
zeicßnen begann, hatte er feine innere Freiheit, fein Glück, gefunden. Jeßt wußte er,
was er follte. Kein 3weifel befteßt für ißn von da an meßr, ob er das Richtige gibt —
nicßts vermag ißm wichtiger zu fein. Und kein Maßftab der Flirklicßkeit von draußen
vermag meßr die Stärke feiner Geftaltungen im Nu umzureißen, wie es das kleinfte
3weiglein der Natur vor feinen Aquarellen tat. Denn was er jetjt gibt, ift ein Er-
lebtes, alfo ein Geiftiges, und fo logifcß es war, den gemalten Scßuftertifcß Liebermanns
mit einem wirklichen Fifcße zu vergleichen, fo unlogifcß wäre es, neben die Fleißbier-
flafcßen auf einer 3'llefcßen Goicßnung die wirklichen zu halten, obwohl fie den Ver-
gleich ganz beftimmt wefentlicß beffer befteßen würden. Denn die Flaßrßeit deffen, was
3üle bekennt, wird nicßt dadurch betroffen, daß auch) feine Fleißbierflafcße fcßließlicß

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