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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 7
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Tornius, Valerian: Willi Münch-Khe: ein Meister der Groteske
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0313

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©ER MJ1SISÄMMIJEM

Von Sammelwagen und KtiiiJlcreigmjjGn

fll illi Münd)-Kl)e Ein Meifter der Groteske
Mtf 5 Abbildungen Von VALERIAN TORNIUS

Die Groteske ift die ältefte Form der Kunft. Entfproffen aus dem Gefühl des Grauens
vor dem Unerklärlichen, Unheimlichen, Unabwendbaren fteht fie am Urbeginn
aller bildnerifchen Darftellungsweife. In ihr fpiegelt [ich urfprünglich das ge-
ängftete Gewiffen des naiven Menfchen, der [ich von dämonifchen CUefen in [einer
Exi[tenz bedroht [ieht. Überall gewahrt er Ge[pen[ter, lauert auf ihn der Schrecken,
und um [ich gewi[[ermaßen innerlich von dem furchtbaren Älp zu befreien, um dem
[tändigen Bedrohtfein zu entrinnen, die quälenden Ängftgefühle zu befct)wichtigen,
formt er diefe unficljtbare Welt mit ihrer entfet^lichen Machtfülle zu unmenfchlichen
verzerrten Gebilden. Aus folchen übertriebenen, blutrünftigen, grauenerregenden Ge-
[chöpfen der Phantafie befteht die ganze Götterwelt des Orients, wie man [ie noch
heute in Indiens und Chinas Eempeln [eben kann.
Je mehr der Menfch die Ängft vor dem Dämonifchen in [ich überwand, je klarer
die Vorftellung vom Überfinnlichen in ihm heranreifte und je perfönlicher [ein Ver-
hältnis zu den Göttern [ich geftaltete, defto milder, humaner wurde [eine Kunft. Die
widerlichen, abfchreckenden, ins Monftröfe und Bizarre [ich verlierenden Formen ver-
[chwanden und machten harmonifchen Gebilden Plaß. Die Groteske verlor ihren Sinn.
Sie blieb nur als Reft einer chaotifchen Vergangenheit dort übrig, wo [ie das Sinnen-
trunkene und Raufchbegierige, mit anderen Worten das Dionyfifche verkörperte. So
[teilt [ich uns die Kunft Griechenlands und Roms dar.
Erft im Mittelalter erwachte eine neue Herrfdjaft des Grauens. Die ganze Welt
[<±)ien von böfen Geiftern bewohnt. Der Aberglaube mit [einen unzähligen ver-
äftelten Auswüchfen, [einem Satanismus und Hexenwal)n, [einen Elementargeiftern und
Spukgeftalten, [einen Halluzinationen und endemifchen Befeffenheiten eröffnete der Ein-
bildungskraft ein neues Feld, auf dem [ie [ich in ausgiebigfter Weife tummeln konnte.
Seitdem läßt [ich, wenn man die Kunft der letzten Jahrhunderte verfolgt, immer wieder
die Wahrnehmung machen, daß in 3eiten eines [tarken Gefühlsausdrucks, einer Hin-
neigung zum Religiöfen und eines Bewußtwerdens der menfcßlichen Ohnmacht gegen-
über dem ungeheuren Weltgefdßehen, die Luft am Grauen wächft und nach Geftaltung
fchreit, während in 3eiten nüchterner, naturaliftifcher Lebensbetrachtung der Sinn für das
Groteske merklich [chwindet. Sie gedeiht eben am beften auf dem Boden der Romantik.
Freilich i[t die Groteske nicht bloß eine Verkörperung des Grauens. Öfters und be-
[onders in neuerer 3eit drückt [ie die Verzweiflung am Leben aus, über die [ie ßch mit
einem zügellofen Galgenhumor hinwegzufeßen [ucht. Solche Momente, die nicht von
Menfchheitskataftrophen und 3eitftrömungen abhängig find, durchlebt faft jeder be-
deutende Künftler, und wenn wir das Schaffen des Einzelnen daraufhin prüfen, werden

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