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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 10
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Hofmann, Egon: Zum Stilproblem im Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0426

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3um Stilproblem im Expreffionismus
Von EGON HOFMANN-Linz a. D.
Wuchtig fteßt der oberöfterreicßifcße Vierkant in der Landfcßaft. Das Pjaus aus
Siegeln, das Dach) aus Schindeln oder Stroh), alles Material wie es der Fjeimat-
boden gibt. Schief find die Dächer der Gebirgsßäufer, daß der Schnee das
Fjolz mcßt erdrücke, klein find die Fenfter, denn das Klima ift raut). Die Steinßäufer
des Südens mit den flachen Bedachungen find ebenfalls aus den Gefeßen des Bodens
entfprungen und fo wirken fie wie die andern und befißen Stil. In der Architektur
läßt fict) diefer Begriff leicht umfchreiben: 3weckmäßigkeit, Materialechtheit, Boden-
ftändigkeit find die ßauptfäcßlichften Elemente. Die Architektur, die Mutter der Künfte;
kein Abbild der Natur, kein Abklatfcß irgendwelcher Formen. Sie felbft zeugt Neues,
die abfolutefte 3weckkunft, gebiert Formen, die dem Leben dienen. Und aus diefen
Erwägungen und Sweben wird ein Eypus für eine Gefamtheit, Ausdruck einer 3eit
und Kulturepoche, ein Ausfluß von Gedankenkreifen, wie fie jedem verfcßiedenen Seit-
alter charakteriftifd), und ißm einen Stempel geben. Die Schönheit felbft entfteßt aus
dem 3weck, denn alle Formen, die in ihrer Konzentration diefem dienen, werden
äftßetifcß angenehm wirken, wie die Verßältniffe einer Mafd)ine Schönheit befißen
werden, wenn auch diefe nüchternen teeßnifeßen Erwägungen entfprungen ift.
Diefes Rüftzeug von Begriffen wird jedoch der Malerei gegenüber verfagen, weil fie
in ihrer Entwicklung über das Riefen einer 3weckkunft im ftrengen Sinne ßinaus-
gewachfen ift. 3war wird das RIort Stil gerne dort am häußgften angewendet als
Betonung eines befonderen Beftrebens oder als Charakteriftikum einer eigene Riege
gehenden Perfönlichkeit. Im Sinne einer fpracßlicß ftrengen Definition könnte gerade
diefer Ausdruck hier nicht zu Recht befteßen. Denn Stil ift nicht das Ergebnis eines
Einzelwillens, einer Individualität, fondern der einer Gefamtheit, ift nicht die in be-
ftimmte Formen gebrachte Anfcßauung eines künftlerifchen Genies, fondern die Sprache
einer ganzen Generation. Der Grund zu diefer Begriffsverwirrung liegt in einer Rlefens-
eigenfeßaft des Stils, der Abkehr vom Naturalismus. Der Ausgangspunkt ift zwar
eine konkrete Naturerfcßeinung, aber diefe wird verarbeitet, 3ufälliges, Unwefentlicßes
weggelaffen, das Eypifcße hervorgehoben. Die Perfönlichkeit felbft kann fict) zwar feßon
manifeftieren „in einem Stück Natur, gefeßen durch ein Cemperament“, wie 3ola von
der Kunft fagte, und damit den Impreffionismus meinte. Das Problem des Stils lag
diefer Richtung nicht. Die Perfönlichkeiten, die diefer hervorgebracht, halten auch kein
Bedürfnis fict) damit auseinanderzufeßen. Denn Stil ift in feinem leßten Riefen Form,
3ufammenfaffung, der Impreffionismus löft hingegen auf, weil ihn nur die Erfcßeinung
feffelt, nicht das, was hinter der Sache.
Gefchmack, Kultur, Gefühl, alles ift in diefen Künftlern in potenzierter Form. Stil-
gefühl wohl auch, aber nur in rein technifchem Sinne genommen. Das Empfinden für
das Material, ein 3eichen entwickelter Kultur. Denn dies bedingt Kenntniffe, alfo
Bildung, Befcßäftigung mit der Materie, Nachdenken und außerdem ein angebornes
Calent; fo wie etwa der Mann, dem die andern naeßfagen, er wäre ftilvoll, in jeder
Lage das paffende tun wird, feßeinbar gar nichts anderes tun kann, den Augenblick
erfaßt und dadurch jeden 3eitabfcßnitt zu einem Meifterwerk der Lebenskunft ftempelt.
„Stil ift das bewußte Empfinden des Augenblicks“, fagte mir mal ein äftßetifierender Snob.
Denn wenn icß auf dem Boden der impreffioniftifeßen Kunftanfcßauung fteße, dann
will icß das Objekt, meinen Ausgangspunkt nicht vergewaltigen, fondern das ßeraus-

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