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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 16
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Biermann, Georg: Der Friedhofs-Wettbewerb für Magdeburg: eine grundsätzliche Feststellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0660

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Die 3eit und der Markt

Kun ft politik
Der Friedtyofs-ttlettbewerb
für Magdeburg
Eine grund[ä^lid)e Feftftellung
Mit 3 Äbbildungen
Noch während des Krieges batte man in Magde-
burg, den Forderungen der immer ftärker fid)
ausdeßnenden Großftadt Rechnung tragend, den
Plan für eine neue großzügige Friedßofsanlage
ausgearbeitet, die Krematorium, Einfegnungs-
ßallen, Verwaltungsgebäude und Leichenhallen
in einem gefcßloffenen Gefamtkomplex vereinigen
füllte. Ein allgemeiner Wettbewerb unter den
deutfcßen Architekten, den die Stadt vor etwa
vier Jahren ausgefcßrieben, follte die erwünfcßte
Löfung bringen. Indes — wie es bei folcßen
Wettbewerben faft immer zu geben pflegt, da
die wirklich führenden Köpfe meift zurückfteßen—
brachte auch diefes Preisausfchreiben troij der
Fjunderte von Entwürfen kein rechtes Ergebnis.
Infolgedeffen verfucßte es der Magiftrat mit
einem neuen engeren Wettbewerb, zu dem außer
den beiden Preisträgern der erften Konkurrenz
(Geh- Baurat Wagner-Berlin und die Profefforen
Reinhardt und Süßenguth-Charlottenburg) noch
Älbin Müller-Darmftadt herangezogen wurde,
der von 1900—1906 in Magdeburg als Lehrer
und Architekt gewirkt hatte, bevor feine Be-
rufung an die Darmftädter Künftlerkolonie er-
folgte. Aus diefem engeren Wettbewerb ging
nun Älbin Müller als Sieger hervor, da der Fried-
hofsausfchuß feinen in tecFmifcber Beziehung
ebenfo einwandfreien wie muftergültigen Ent-
wurf zur Ausführung beftimmte, der auch rein
künftlerifch die anderen Entwürfe weit überragte.
Die Angelegenheit fchien damit beftens er-
ledigt. Da kam die Revolution, die die Maffen-
feele zum Erwachen brachte. Einige Magde-
burger Architekten fochten aus leicht erklärlichen
Gründen die Berechtigung jenes lebten engeren
Wettbewerbes an und festen beim Magiftrat
ihre nachträgliche Beteiligung durch, nachdem
inzwifchen Älbin Müllers Pläne längft bekannt
geworden waren. Croljdem entfchloß fid) diefer
Künftler noch einmal mitzuarbeiten und ein neues
Projekt anzufertigen, das der wirtfd)aftlid)enNöte
der 3eit ftärkere Konzeffionen machte und die
urfprüngliche Faffung des Entwurfs wefentlich
vereinfachte. Dies neue Projekt wurde aber dem
neu zufammengetretenen Preisgericht nicht mit
vorgelegt, das pcb feinerfeits nunmehr für einen
Entwurf der Ferren Reinhardt und Süßenguth

entfchloß, der eine handwerklich tüchtige Arbeit
von Durchfchnittsqualität in füddeutfchem Ba-
rockftil bedeutete. Aus angeblichen „Wettbe-
werbsrückfichten“ — womit wohl auf die Be-
dingungen des erften Preisausfcbreibens Bezug
genommen werden follte — wurde Älbin Müllers
Arbeit zur Seite geftellt, die alle Vorzüge einer
perfönlid) fcßöpferifchen Leiftung befitjt und es
beftebt die Gefahr, daß wieder mal der Kon-
zeffion an die Maffe zu Liebe eine deutfeße
Großftadt mit einer Bauanlage beglückt wird,
die fo viel fcßwäcßer ift als eine andere und
nimmermehr als ar<hitektonifd)es Wahrzeichen
diefer unferer 3eit angefproeben werden kann.
Freilich ift das letzte Wort in diefer Sache, die
ja nach mehr als einer Seite hin bedenkliche
Streiflichter auf unfere heutigen Kunftzuftände
wirft, noch nicht gefproeben. Die Stadtverwal-
tung hat nach wie vor das Recht freier Ent-
fcbließung und ift an [ich in keiner Weife an
die Entfcbeidungen des Preisgerichts gebunden.
So tut eine Warnung in diefem Moment doppelt
not; denn die Situation als folcbe befiljt über
die Einzelintereffen einer Kommune hinaus
fymptomatifebe Bedeutung für unfere gefamte
Kunft und Baukultur. Erliegen wir bei den
wenigen großen baukünftlerifcßen Aufgaben, die
uns die 3ukunft überhaupt noch offen läßt, jenen
Rückfichten auf die fogenannte politifcße Kon-
ftellation der 3eit> opfert man die künftlerifcbe
Schöpfung als folche oberflächlichen Gefühls-
momenten, dann werden uns fortan die lauteften
Schreier mit ihren Arbeiten beglücken oder ftädti-
febe und ftaatlicbe Bauämter die Arbeit des
jeböpferifeben Künftlers übernehmen. Gegen jede
Verwäfferung einer aus Intuition und Einfühlung
gewordenen Arbeit von dritter Seite ift ebenfo
Front zu machen wie gegen Erwägungen unter-
geordneter Natur, die mit der Kunft an fid) nichts
zu tun haben. Kompromiffe mögen fonftwo im
Leben der Menfchen und Völker bin und wieder
ihr Gutes haben. Der Kunft verfemen fie den
Codesftoß. Ein ftark und perfönlid) empfundenes
Werk, wie es der hier abgebildete Entwurf dar-
ftellt, hat fid) ausfchließlid) in den Fjänden feines
Urhebers auszuformen. Und wenn von fünf
guten Arbeiten deutfeber Architekten eine die
befte ift, dann darf es keine Bedenken geben, die
die Ausführung nur diefes Werkes verhindern
könnten.
Älbin Müllers Entwurf, der die Gefamtanlage
des Friedhofes ausgezeichnet dem fchönen, leicht
hügeligen Gelände anpaßt und fid) den Gelände-
kurven vortrefflich anfeßmiegt, gibt als Ganzes
einen prächtigen arcßitektonifcben Rhythmus.

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