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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 23
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Kunstpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0907

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Die 3eit und der Markt

Kunftpolitik
Die Kunft und der 3 e n T0 r
Im Verlag von Frilj Gurlitt ift kürzlich die Kri-
minalpolizei erfebienen und bat dieBände des von
diefem Verlag berausgegebenen „Venuswagen“,
benannt nacb dem gleichnamigen Gedieht Schillers,
befcblagnabmt. Künftlerifcbe Mitarbeiter diefer
nach Äusftattung und Druck geradezu vorbildlichen
Veröffentlichungen find u. a. Lovis Corintb, Willi
Geiger,Richard Janthur, Franz Criftopbe, Scbeuricb,
Georg Walter Rößner u. a., das b^ißt Künftler von
Ruf, die zu den beften im neuen Deutfcßland
zählen. Äucb das außerhalb der genannten Serie
im gleichen Verlag erfebienene Werk „3wanglofe
Gefchichten und Bilder“ von Heinrich 3ille foll
ein Opfer des Staatsanwalts geworden fein. Der
ganze Fall wäre keine drei Worte wert, wenn
die Maßregelung als folcße nicht in geradezu
grotesker Form gegen die Freiheit der Kunft
verftieße. Zugegeben felbft, daß die im „Venus-
wagen“ veröffentlichten Stücke älterer und neuerer
Literatur ficber nicht zu den harmlos zahmen
Dingen rechnen, die man auf dem Bücberti|cb
des guten Bürgers oder in den fänden der heran-
wach fenden Cocbter zu ßnden gewöhnt ift, be-
deutet diefer Fall dennoch einen fchlimmen Miß-
griff, weil es ficb hier nicht nur um ernfte künft-
lerifcbe Dinge handelt, fondern weil der Cha-
rakter diefer rein bibliophilen Sammlung mit dem
febr hohen Preis und der befebränkten numerierten
Auflage jede Möglichkeit ausfcbließt, daß diefe
Bücher von in bezug auf Älter und Kunftverftänd-
nis unreifen Menfcben gekauft werden könnten.
Die Befcblagnabme als folcbe richtet ficb deshalb
nicht fo febr gegen die verlegerifcben Äbficbten
des Herausgebers als vielmehr gegen die Künftler
felbft, die hier koftbare Proben ihres reichen
Könnens, in Änpaffung an einen ihrem künft-
lerifcben Wefen adaequaten Stoff niedergelegt
und Meifterwerke neudeutfeber Bucßkunft ge-
febaffen haben. Die geradezu erfrfmtterndeCragik
aber, die 3iües GCIerk verfcßließt, das eine ein-
zige Anklage gegen die fittlicbe und foziale Ver-
wabrlofung jenes dunkelften Berlins ift, macht
den Mißgriff der um die Moral beforgten Polizei
noch unbegreiflicher. Diefer aber wäre vielleicht'
ein wahrhaft komifebes Intermezzo im Scßau-
fpiel diefer 3eit, wenn es nicht im lebten als
ein fo beklagenswerter Beweis für die feltfame
Begriffsverwirrung der heutigen Menfcßßeit an-
gefproeßen werden müßte. Der Verlag hat in-

zwifchen alle ihm zur Verfügung ftebenden
Rechtsmittel ergriffen, um fein und feiner Künftler
Änfefm gegen die erfolgte Maßregelung in Scbutj
zu nehmen. B.
Verpfändung der tüiener Gobelins
Nach Schluß der Äusftellung der Gobelins aus
ehemaligem kaiferlicßenBefitj im Belvedere drang
die Nachricht in die Öffentlichkeit, daß diefe
Schäle zum 3wecke der Befcßaffung eines kurz-
fälligen Kredites verpfändet werden follen. Die
Regierung erklärt hierzu, fie habe am 26. Ok-
tober an die Reparationskommiffion den Antrag
geftellt, das im Friedensvertrag begründete Ge-
neralpfandrecht der Ententeftaaten zurücktreten
zu laffen, worauf die Reparationskommiffion in
einer Note einwilligte, aber dem Wunfcße Aus-
druck gab, man möge alles aufbieten, um die
in dem Antrag erwähnten ausländifeben Wert-
papiere als Pfand für die Lebensmittelkredite
zu benutzen oder womöglich andere Unterlagen
heranziehen, bevor man auf die Gobelins greife.
Sollte aber kein anderer Ausweg möglich fein,
fo müffe die Reparationskommißion über die
Verpfändungsbedindungen vollftändig informiert
und mit genauen Angaben über diebetreffenden
Objekte ausgeftattet werden. Dazu ift zu be-
merken, daß diefe Note eine auf Antrag der
öfterreichifchen Regierung vollzogene Umftilifie-
rung eines urfprünglicßen Protokolls ift, wonach
an die Erlaubnis der Verpfändung der Gobelins
die Bedingung geknüpft wurde, daß vorher das
ganze vorgefebriebene Getreidekontingent abge-
liefert und konfumiert fein müffe, daß alles in
Öfterreich gewachfene Getreide dem Konfum zu-
geführt und die laufenden Handelsverträge mit
Serbien realifiert fein müffen. Älfo: der Grund,
warum die Verpfändung der Gobelins zur inner-
politifcben Affäre wird, liegt in der Macßtlofig-
keit der neuen wie der früheren Regierung
gegenüber der Bauernfcbaft, die ficb um die Äb-
lieferungsvorfcbriften nicht kümmert. Und wie-
derum: nicht darum geht es zunäcbft, daß Be-
völkerung oder Regierung nicht das genügende
„Verftändnis“ in Kunftdingen aufbringen, fondern
darum, daß die materialiftifcße und pflicßtver-
geffene Verkommenheit ganzer Bevölkerungs-
febiebten — es find dies natürlich nicht nur die
Bauern — überhaupt Kunft zum Kompenfations-
objekt für Brot werden läßt1. H-G-
1 üüätjrend der Korrektur wird bekannt, daß die Ver-
pfändung endgültig füntangetjalten werden konnte.

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