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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 5
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Poeschel, Erwin: Augusto Giacometti
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0209

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Hugufto Giacometti

Von ERWIN PO ESC HEL / Mit
sieben Abbildungen auf vier Tafeln

enn Äugufto Giacometti [cpon um die Ulende unferes Jahrhunderts ganz ohne


äußere Führung in zaghaftem, weiterem Anblick vorenthaltenen Studien pcp

T T von der Darftellung des Gegenftandes entfernte und reine Farbenkompofitionen
verfuchte, fo mußte er aus einer beftimmten Lagerung feines künftlerifchen Empfindens
dazu gekommen [ein. Freilich, die Richtung war gegeben, der Impreffionismus hatte
die Erlaubnis gebracht, das Ding in ein Spiel von Cönen aufzulöfen, das farbige Ge-
wand von dem dichten Anliegen an den Körper wegzulockern. Es behutfam aber ganz
von ihm zu nehmen, ohne die Form der Glieder als Beute und Erinnerungsbild nur
zu bewahren, blieb immerhin ein Unterfangen. Befremdend blieb es, wenn auch der
Raub eigentlich nicht kühner war, als wenn die Graphik in der Linie nur das Ganze
fud)te. Aber daß er eben diefen Schritt tat, darin zeigte diefer italienifcpe Schweizer
lateinifche Elemente feines Blutes: jenes Bedürfnis nach reinlicher Scheidung, Ordnung
und Logik, nach Überfichtlichkeit der geiftigen Aufgabe; die Neigung, eine Formulierung
bis zu ihrer klarften Konfequenz vorzutreiben. Aber auf diefem fo entfcpieden um-
grenzten Feld wuchs nun etwas, das mit lateinifcher Statik nichts gemein hatte: das
gotifd) Grenzenlofe, eine deutfcpe Myftik. So beftätigte er feine Fjerkunft.
Das Bergeil am Südrande des Schweizerlandes ift feine PJeimat, italienifches Sprach-
gebiet, umfaßt von ungeheueren Bergen, aber nahe dem Cor, vor das ein gefegnetes
Land pcp breitet mit Menfcpen leichteren Sinnes als das Bergvolk Bündens. Anders
als fein Vetter Giovanni läßt er das fjeimatsdorf, kehrt auch nach der Studienzeit — an
der Kunftgewerbefcpule in 3ürich, bei Graffet in Paris — nicht mehr dauernd dahin
zurück, malt in Florenz, bleibt dann in 3ürid) [affig, wird Städter; hat j'o die Menfcpen
weiter von [ich als im engen Kreis naher Beziehungen, pjjt hoch über dem Dächer-
gewirr, ift allein, liebt es, Städte zu durchwandern, wo er niemanden kennt, geht hin
und nimmt von allem den Duft mit, den Duft vom Land, von den Dingen, den Blumen,
trinkt ihn wie (Hein, langfam und bepnnlicp, ift von behutfamem (Hefen und hat über
einem mächtigen Körper die Augen eines Schwärmers. Von allem den Duft, das Arom,
das Eintrinken, das ift nun auch feine Kunft. Das ift der innerfte Sinn feiner ab-
ftrakten Farbengebilde: die Scheu vor dem Anhängen an das Ding, vor feinen feft-
geiegten Formen, vor feiner Beladenheit mit Begriff und Affoziationen. Daher auch
feine Abftraktionen fid) nicht etwa wie bei Picaffo aus Flächen, kubifd)en Gebilden
aufbauen, fondern immer ineinander fließen, immer etwas vom (Herden, vom ewig
Veränderlichen behalten.
So mad)t er den cHeg wieder frei zu der Farbe und ihrem erregenden Ulert, zu
ihrer „finnlich~[ittlichen (Hirkung“, wie Goethe es bezeichnet. Er macht das Exempel
auf deffen Formel, „daß pe durch Vermittlung des Auges auf das Gemüt ohne Bezug
auf Befcpaffenpeit oder Form eines Materials, an deffen Oberpäcpe wir pe gewahr
werden, eine entfcpiedene und bedeutende Ulirkung hervorbringe“, ja, er beweift, daß
pe an Kraft mit der Entfernung vom Gegenftand wäcpft. Denn der Gegenftand fpricpt
zum Intellekt, leitet den Strom vom Bild zur Seele des Befcpauers über den Filter der
Erfahrung, der Reflexion, und hält ißn dort entweder überhaupt feft oder läßt ipn nur
verdünnt, an fpezipfcpem Gepalt erleichtert, an Arom verarmt, in tiefere Schichten.
Giacometti nimmt diefes 3wifcpennefe weg, er emppndet und läßt emppnden, wie jene
A'lenfcpen gefühlt paben mögen, die Farben noch tiefer erregten als (Horte, die zum
erftenmal dem König den Purpur gaben, dem Kardinal den Scharlach, oder die, wie
jene Azteken, die müden Cräger einer unwaprfcpeinlich in die feinften Veräftelungen
getriebenen Kultur, die Leiber fcpminkten zum Symbol. Deswegen ift feine Kunft der
reinen Mupk am näcpften verwandt, die nicpt ein Programm übermalt, die mit Um-
Der Cicerone, XIV. Jaljrg., 5 10 187
 
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