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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 5
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Noack, Friedrich: Modell und Akt in Rom, [2]: Geschichtliche Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0218

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Veduten um die Wende des Jahrhunderts beginnt an Stelle der Staffage von Nymphen,
Satyrn und Heroen hier und da eine foId)e von zeitgenöffifchen Geftalten zu erfcheinen,
wie man fie in den Gaffen der Stadt oder draußen in der Campagna begegnete.
Römifche Volkstypen als Hauptmotiv künftlerifcher Darftellung find eine Erfindung der
fremden Künftler des neuen Jahrhunderts, die fid) vom Klaffizismus ab zur Romantik
und von der akademifchen Schablone zur Beobachtung der lebendigen Wirklichkeit hin-
wandten, ebenfo wie die realiftifchen Flamen am Beginn des 17. Jahrhunderts in die
feierlich gefpreizte römifche Barockkunft mit ihren Bambocciaden einbrachen. Von den
Künftlern, die das Vorbild der fd)önen Vittoria Caldoni benußen durften, haben manche
nod) das antike Ideal in ihr gefucht und zu finden geglaubt, die meiften aber haben
fchon ausfd)ließlich die fdhöne Italienerin der Gegenwart in ihr gefehen, den malerifchen
Cypus eines fremden, noch nicht durch die verflachende wefteuropäifche 3ivilifation
unterdrückten, eigenartigen und urwüchfigen Volkstums.
Criumphierend ftehen an der Spiße der neuen Kunftgattung die Modelle Roberts und
Schnei}’, die Briganten von Sonnino und ihre Weiber. Ihre Bildniffe find in kurzer
3eit durch die Gemälde der beiden Künftler und deren Vervielfältigungen in Holzfchnitt
und Kupferftid) über die ganze Welt verbreitet worden; insbefondere konnten die
Räuberfrauen Maria Grazia und Cerefina fid) rühmen, daß ißr Bild mindeftens ebenfo
weithin bekannt war wie etwa das eines Papftes oder eines Napoleon, mit dem Unter-
fcßied jedoch, daß es bei dem Befcßauer mehr Wohlgefallen erweckte als diefe. Denn die
beiden Schweftern waren hervorragende Schönheiten von Ängefid)t wie von Geftalt,
die erftere 22, die jüngere nur 17 Jahre alt, als fie in der römifchen Gefangenfcßaft
mit Robert bekannt wurden, alfo beide noch in der frifchen Jugendblüte. Maria Grazia
hatte bereits den zweiten Banditengemahl, nachdem der erfte wenige Monate nach der
Hochzeit getötet worden war, und brachte einen Säugling mit in die Diokletiansthermen;
ihre Schwefter Cerefina, auch bereits verheiratet, unterjcßied fid) von il)r durch zartere
3üge, war aber wie jene eine kräftige, wohlgeformte Geftalt von ftolzer Haltung und
hoheitsvoller Bewegung, mit feurigen Äugen und einer Fülle rabenfd)warzen Haares.
Gerefina, die zugleich Roberts Geliebte gewefen fein foll, kommt auf den meiften feiner
Gemälde vor, z. B. um die berühmteften zu nennen, als Cänzerin vor dem Wagen auf
der „Rückkehr vom Feft der Madonna dell'Ärco“ und auf dem Bild des „Neapolita-
nifchen Improvifators“ als die junge Frau zu den Füßen des Sängers. Maria Grazia
ift die Frau des Räubers auf Sehnet}' gleichnamigem Gemälde, fowie die Frau, die der
Wahrfagerin die Hand des Kindes hinreicht, auf des Künftlers L’enfance de Sixte-Quint.
Sd)net} hat ißr zum Dank für die ißm geleifteten Dienfte im Älter eine Penfion von
10 Scudi monatlich gezahlt, als er 40 Jahre fpäter Direktor der franzöfifchen Akademie
in Rom war, und hat fie ab und zu in Sonnino befud)t. Vereint find die Schweftern
auf Roberts Gemälde „Die Schnitter“ an der Spiße des 3uges dargeftellt. Von Maria
Grazia hat Emil Wolff eine Büfte angefertigt, die fid) in der Farenheidfcßen Samm-
lung zu Beynuhnen befindet. Schließ ift in feiner Schwärmerei für die Räubermodelle
auch im Alter als Äkademiedirektor noch fo weit gegangen, daß er vielerlei anrüchiges
Gefindel gaftlid) in Villa Medici aufgenommen hat, und mußte es erleben, daß eines
feiner männlichen Modelle im Jahre 1864 einen reichen Franzofen ermordet und beraubt
hat. Unter den alten Räubern aus der erften 3eb haben vornehmlich Gasbarrone und
Barbone Ruhm erlangt. Der erftere hat nach jahrelanger Gefangenfcßaft in der Rocca
von Civita Caftellana die Freiheit erlangt und um die Mitte des Jahrhunderts als wür-
diger Greis in römifchen Ateliers Dienft getan, während feine Schwefter Giuftina in
jungen Jahren zwifd)en 1820 und 1830 als herrliches Aiodell feßr gefucht war und
feine Uod)ter Mariuccia um 1840 bis 1845 mit ihrem fchönen Ängeficht von mildem
Ausdruck auf vielen italienifchen Koftümbildern bewundert wurde. Sie feßeint ein
und diefelbe Perfon zu fein mit einer Mariuccia aus Subiaco, die im Bildnisalbum
Keftners vorkommt und von dem franzöfifchen Maler lßdore Flacheron geeßelicht worden

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