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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 10
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Steinmann, Ernst: Ein Flußgott nach Michelangelo
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0425

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Ein Flußgott n a d) Michelangelo
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel Von ERNST STEINMANN

Schon Gottfcßewfki hat pcß in feiner ergebnisreichen Studie über den Gorfo eines
I Flußgottes Michelangelos nach Ergänzungen diefes Gorfo umgefeßen, der heute
wieder in der Akademie zu Florenz aufgeftellt ift1. Er fand aber weder in einer
Bronzekopie im Mufeo Nazionale in Florenz noch in einem Flußgott in einem Bronze-
relief Vincenzo Dantis eine Spur von den Gedanken und dem Stil Michelangelos, und
Gßode hat diefer Anpcßt zugeftimmt2.
Glie bekannt, wollte Michelangelo vier Flußgötter in der Medicikapelle eigenhändig
ausfüßren, wie Gag und Nacht Crepuscolo und Aurora, die Capitani und die Madonna.
Er felbft hat diefe Abficht ausgefprochen in einem Brief nach Rom im Sommer 15263.
Flußgötter waren damals in der Kunft des Cinquecento ebenfo unbekannt, wie die
anderen Allegorien der Medicikapelle. Michelangelo griff, als er pe in feinen Dar-
ftellungskreis aufnahm, vielleicht bewußt oder unbewußt auf ein perfönlicßes Erlebnis
zurück. Er war im Jahre 1512 in Rom gewefen, als der gewaltige Ober bei S. Maria
sopra Minerva ausgegraben wurde, der heute noch als Opfer napoleonifcher Beutegier
in Paris bewahrt wird. Julius II. hatte die Statue fofort erworben und im Belvedere
aufftellen laffen4. Fjat der jugendliche Meifter, den damals fd)on der volle Glanz des
Ruhms umftrahlte, in jenen Gagen die erfte Anregung empfangen, felbft auf eine neue
Gleife antike Flußgötter zu bilden?
Jedenfalls muß der Vorwurf feine Pßantape viel befchäftigt haben, wenn er mit
eigener Fjand in der Grabkapelle der Medici nicht weniger als vier folcher Flußgötter
ausführen wollte, ünd könnte man nicht fchließlich fagen, daß auch der träge ßin-
gelagerte Crepuscolo, ja felbft der Gag mit feinen krampfhaft bewegten Gliedern das
Flußgott-Motiv auf eine feltfame Gleife variieren? Könnten nicht auch die meiften der
liegenden Bronzeakte in der Sixtina mit einer Qrne verfeßen ohne weiteres als Fluß-
götter gelten?
Die Biographen Michelangelos wiffen von feinen Flußgötter-Abpchten nichts zu be-
richten, wahrfcheinlich weil pe nie ausgeführt worden find. Erft in den „Marmi“ des
Antonfrancesco Doni5, eines Florentiners und jüngeren 3eitgenoffen Buonarrotis werden
zwei Conmodelle aufgeführt, die nur auf zwei Flußgötter gedeutet werden können.
„Glas für zwei wunderbare Gerrakottamodelle liegen hier auf der Erde“ ? fragt der
Fremde den Florentiner in der Sakriftei von San Lorenzo.
„Es follen zwei riepge Marmorpguren werden“, antwortet der Florentiner, „die
Michelangelo felbft ausfüßren wollte“.
Nur eins diefer Modelle hat p<h wenigftens als Gorfo bis auf den heutigen Gag er-
halten. Großherzog Copmo feßenkte ißn an Ammanati, und diefer wiederum überwies
ißn im Jahre 1583 zu Studienzwecken der Florentiner Akademie6 * 8. Im Sei- und im
Settecento muß jedermann in Florenz diefen Gorfo gekannt haben, ja er wurde als
1 Ein Original-Conmodell Michelangelos. In: Müncßener Jaßrbuch der bildenden Kunft I (1906),
Seite 63.
2 Michelangelo IV, S. 495.
3 Lettere ed. Milanesi, S. 453.
4 Paftor, Gefcßicßte der Pappe (1895), 111,723, Änm. 4.
5 I marmi del Doni. Vinegia 1552. La terza parte, S. 24. (3weite Ausgabe, Venedig 1609.)
Neu herausgegeben von P. Fanfani, Firenze 1863, 11,23. Ein Brief und ein Sonett, die Doni an
Michelangelo richtete, beide voll überfcßwenglicßer Bewunderung, haben fid) noch erhalten. Der
Brief ift datiert aus Piacenza vom 12. Januar 1543. Er ift ein F>Umnus auf die Fjoldfeligkeit der
Aurora, auf den füßen Schlummer der Nacht, auf die herrliche Bildung der Capitani und die
ßeroifche Schönheit der Madonna. Vgl. Cre libri di lettere del Doni. Vinegia 1552, S. 6 u. S. 388.
8 Cßode IV, 493.

Der Cicerone, XIV. Jatjrg., fjeft 10

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