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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 15
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Hartlaub, Gustav Friedrich: Vincent van Gogh
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0646

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und es war gewiß nur der auch in ißm [tärker durchbrechende ürinftinkt [eines Stammes,
der ißn [o leiden ließ am Kunftßändlerberuf und der ißn in [o felbftlofer Leidenfcßaft
dem beffer begnadeten, [cßöpferifcßeren Bruder verband. Mit ißm wuchs Vincent auf in
einer Kleinwelt gut bürgerlicher Kunftbildung, wie [ie durch Hollands alte Meifter, die
großen und die geringen, Hollands große und kleine Galerien, Hollands viele Sammler
und Liebhaber, Hollands braune Schilderkunft bedingt war. Äber auch davon hatte
Vincent viel in [einem Kiefen, auch daran hing er mit fchwerfällig zäher Creue und
Kraft wie an [einem Glauben, Und doch hat er es mit dem Vermächtnis der Kunft
nicht anders gehalten, als mit dem geiftlichen! 3uerft verweigerte er ihm den Händler-
dienft, den die Familie ihm zumuten wollte. Dann fpäter, zum Malerberuf entfd)lof[en,
kniete er [ich anfangs wohl innig hinein in die heimifche Kleife, folgte denen gläubig,
die ihm den Geift der Überlieferung und des Vaterlandes neuzeitlich zu verwalten
fchienen. Aber er mißverftand, übertrieb doch wider Klillen auch hier, vergröberte
was viel feiner, herkömmlicher und gefellfchaftlicher gemeint gewefen. Dann brach er
vollends ab, kehrte [ich jäh von der Fjeimat, Von den Meiftern, von den alten gold-
braunen Bildern, und zeugte einfam und abgelöft im Süden Frankreichs mit [ich felber
[ein eigen Klerk. Ein Klerk, feßeinbar ganz tief wider alle Stammesweife und Beimat-
lehre, ganz vorausfetjungslos, tief empörerifch und zukünftig, aus der großen Um-
kehrung gewonnen, wie [ein neuer gläubiger Unglaube aus der Umkehrung ent-
[tanden war.
So aber ward er, der er von Anbeginn war.
II. Maler und „Mond)“
Indem ße ihm den zwiefachen Samen einpflanzten: Samen des Glaubens und
Samen der Kunft, legten Vincents Ahnen noch eine dritte verhängnisvolle Anlage
in [eine Bruft: tragifd)en Keim zur 3wietracßt beider Kräfte. Und da er ein Mann
des Scßickfals war, reifte diefe Anlage in ihm aus und geriet ihm zu lebendigem Kampf,
Uriumph und Untergang.
Eine „Doppelnatur“ hat [ich Vincent in einem [einer denkwürdigen Briefe einmal
genannt. Er durfte nicht zu den eindeutigen, glücklich - blinden Naturen zählen, die
[ich ftets des Kleges bewußt find, welcher für [ie der rechte und der einzige ift. Er
konnte nie ganz „Künftler“, ganz „Maler“ [ein. Auch da er zum Malerberufe [ich
entfehieden hatte, verließ ißn [eiten das Bewußtfein, mit [olcßem Entfcßluffe beftenfalls
nur eine Ceilerfüllung [eines Kiefens erlangt, und vielleicht tiefere, wahrere Be-
ftimmung preisgegeben zu haben. In [einen Briefen, die als Ventile allfeitiger Span-
nung ihm faft ebenfo lebenswichtig waren, wie einft [ein Predigen und dann [ein
Malen, und wo ein Dichter, Denker und Menfch aus allfeitig fchöpferifcher Belefenßeit
heraus, weit über Klerkftattfragen, mit Urrätfeln des Dafeins ringt, verfolgen wir, wie
lange diefer Menfch brauchte, bevor er den Kleg der unverbindlichen Kunft einzu-
fcßlagen [ich zwang, der ihm nie ganz Selbftzweck, immer [o etwas wie ein Erfat*
bleiben follte.
„Eine Doppelnatur, halb Mönch, halb Maler“: auf diefe erweiterte Formel
hat Vincent wohl am [cßärfften die Polarität [eines Kiefens gebracht. Klir [eben
den Jüngling aus dem Kunfthandel in London und Paris, den ihm zuerft Verwandten-
rat und eigene Luft nahegelegt, mit Tätlichem Ekel flüchten, ja in den Gegenfatj, ins
Geiftlicße umfchlagen. Klir erleben in London, Brüjfel und Amfterdam, fcßließlich
bei den Kohlenarbeitern der Borinage [einen immer erneuten Verfuch, aus innerer
Berufung, die er fühlt, [o etwas wie einen Beruf zu machen. Bis er auch hier
endgültig fcheitert, weil [ein Klille zur lebendigen Menfchenfeele ßd) nie und nimmer
mit den Anfprücßen irgendeiner äußeren Einrichtung verträgt. Klir feßen den Mönch,
der in Bibel und Gebet, in allen Klerken ct)ri[tlic±)er Caritas ßcß bis zu äußerfter Selbft-

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