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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 18
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Biermann, Georg: Eine französische Elfenbeinmadonna des 14. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0780

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Eine franzöfifdje Elfenbeinmadonna

des 14. Jahrhunderts

Mit einer Tafel

Die hier abgebildete Arbeit eines unbekannten Elfenbeinfchnifcjers weift ftiliftifd)
und zeitlich auf die franzöfifche Gotik des 14. Jahrhunderts hin» und zwar im
engeren Sinne auf jene Kunftprovinz, die füdlich etwa von der Mofel (mit ihren
rljeinifchen Ausläufern) begrenzt wird, fid) aber mit ihren nördlichen Auszahlungen
bis nach Flandern erftreckt, fo daß man im erften Moment vielleicht verfucßt wäre, auf
Arras als Entftehungsgebiet zu fd)ließen. Ob aber eine folche Anpicht poßtiv zu be-
weifen ift, mag dahingeftellt fein. Der Fluß der künftlerifchen Arbeit gerade in diefer
für Frankreichs Kunft wichtigften Epoche macht einem derartigen ülerk gegenüber die
örtliche Fixierung überaus feßwierig, zumal die Denkmäler der Kirchen und Klöfter für
folche Erzeugniffe der Kleinkunft nur bedingten Ulert beßßen. Sicher ift nur, daß es
pd) um eine nordfranzößfehe Arbeit aus der zweiten Fjälße des 14. Jahrhunderts und
um ein ÜLIerk handelt, das feiner Qualität nach durchaus nicht alltäglich ift. Das wird
einem ohne weiteres klar, wenn man einer foldjen Arbeit eines der vielen Stücke
gegenüberftellt, die in jener 3eit ateliergemäß zu Duzenden hergefteUt und weithin
exportiert worden find und in ihrer oberflächlichen Gefälligkeit ausnahmslos eine ge-
wiffe Schematißerung erkennen laßen. Auch der gravierte Meßingfockel, der als
Miniaturreliquiar gedient hat und zweifellos mit der Figur felbft eng zufammenhängt,
unterftreicljt die befondere Bedeutung diefer Figur, die mit handwerklicher Bravour
gefertigt, nach Stil und Auffaßung auf eine Meifterhand fdjließen läßt, die durchaus
individuell anmutet, fo daß man ihr ßcher auch an plaftifdjen Klerken der Großkunft
begegnen müßte, wenn ßch einmal die Schleier von der Vergeßenßeit über der Per-
fönlichkeit enthüllen füllten. Gerade die faft verhaltene Innigkeit der Gebärde fpridjt
mit einer Stärke des Gefühls an, die unbedingt überzeugen muß, und daß diefes feiner
materiellen Gebundenheit völlig enthoben fdjeint, ift nicht der geringfte Reiz diefer
prächtigen Arbeit. G. B.


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