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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 20
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Friedländer, Max J.: Die Primitiven-Ausstellung im Haag
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0836

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Poison d’or-Ausftellung in Brügge 1907 von Cß. L. Cardou ausgeftellt war (Äbg. im
großen ülerke über diefe Äusftellung, Caf. 47, Nr. 195), ferner einen alten Mann mit
einem Cotenfcßädel in der Hand (Galerie zu Hermannftadt, Caf. 33 in der Publikation
diefer Sammlung), endlich einen alten Mann mit einer Pelzkappe in der Sammlung
Bray in St. Petersburg.
Das kleine, oben rund gefcßloffene Bild im Originalrahmen, mit der Madonna und
den Heiligen Katharina und Ägnes, erinnert mit einigen 3ügen, namentlich der hellen
und küßlen Färbung und der kecken, beinahe luftigen Beweglichkeit der Figuren fo
entfcßieden an Geertgen tot Sins Jans, daß die örtliche Herkunft diefer Uafel nicht
zweifelhaft fein kann1. Als ein holländifches tOerk aus der 3eit um 1500 verdient die
rein erhaltene Cafel eingehendes Studium. Von der älteren ßolländifcßen Kunft ift uns
ja fo wenig erhalten geblieben, daß jedes Monument, das zu dem fpärlicßen Beftande
hinzukommt, des ßöcßften Intereffes gewiß ift.
Für die Vermählung Jofephs mit Maria vermag ich einen Äutornamen vorzufcßlagen,
freilich nur einen Notnamen aus kunfthiftorifcher Laufe. Diefes Bild ftammt aus der-
felben Fjand wie eine ßöcßft merkwürdige Predigtfzene im Louvre. Da im Hinter-
gründe des Parifer Bildes die Kirche St. Gudula ßchtbar ift, betrachte ich den tem-
peramentvollen Maler als einen Brüffeler und nenne ihn den Meifter von St. Gudula.
Im landfchaftlichen Hintergründe des Vermählungsbildes ift eine zur Stadtmauer führende
Straße und mitten auf der Straße ein großer würfelförmiger Stein zu feßen. Diefelbe
Örtlichkeit, wahrfcheinlich ein Stüde von Brüffel, ift auf einem Porträt in der Londoner
Nationalgalerie zu finden, das ich mit mehreren anderen Cüerken dem St. Gudula-
Meifter zufeßreibe. In einem demnächst erfeßeinenden Auffatj habe ich mich noeß
ausführlicher über diefen Maler, der um 1490 tätig war, geäußert.
tüoßl bekannt find mir die feßönen franzößfeßen Porträts, die Sie ausftellen wollen
und zu denen icß auch das Bildnis eines bartlofen Mannes rechne, das pe vermutungs-
weife unter dem Namen Joos van der Becke verzeichnet haben.
Neben dem Bildnis eines bartlofen Mannes, das mit Recht Corneille de Lyon ge-
nannt wird, feffelt ebenfowoßl als Kunftwerk wie als ßiftorifeßes Dokument das Por-
trät eines Mannes, der die Kette des Ordens von St. Micßel trägt. Der Dargeftellte ift
Gaspard II. de Coligny, Seigneur de Cßatillon-sur-Loire, der als Füßrer der Prote-
ftanten 1572 der Bartholomäusnacht zum Opfer fiel. Eine dem Gemälde genau ent-
fpreeßende 3eidßnung beßndet fieß in der Bibliotßeque Nationale zu Paris. Nach unferer
freilich feßwaeß fundierten Kenntnis der franzößfeßen Malkunft werden Bild und 3eid)~
nung dem Francois Clouet zugefeßrieben, der, feit 1540 premier peintre du roi, in dem-
felben Jahre wie Coligny ftarb.
Die Kunft des Meifters von Frankfurt ift in den lebten Jahren woßl klar umriffen
worden, fo daß die beiden feßönen tüerke, die Sie von ißm befitjen, auf verftändnis-
volle Aufnahme ftoßen werden. Schade, daß der fcßlecßt gewählte Name das Miß-
verftändnis am Leben erßält, diefer Maler fei ein Deutfcßer. Er ift ßcßerlicß ein Nieder-
länder und waßrfcßeinlich ein Äntwerpener.
Das offenbar feßr fdßöne Männerporträt in Halbßgur mit dem Cotenfcßädel und den
tilappenfcßildcßen kenne icß leider bisher nur aus der Abbildung. Holländifcß iß es
ßcßerlicß. Für Score! wäre es ungewöhnlich verfcßloffen und ftreng im Ausdruck, auf-
fällig genau und feßarf durchgebildet. Vielleicht gelingt es, die iXIappen zu deuten
und dadurch einen wertvollen Anhaltspunkt zur örtlichen Beftimmung zu gewinnen.
Meßr als einmal habe icß das Männerporträt ftudiert und bewundert, das Herr Volz
zu der Äusftellung geliehen hat. An Energie des Ausdrucks, Sicherheit der 3ei<hnung,
Klarßeit der Modellierung ßat es kaum feinesgleicßen unter den gleichzeitigen nieder-
ländifcßen öQerken. Ganz kurz nach 1500 muß es entftanden fein. Icß kann diefe

1 Veröffentlicht und befeßrieben in Heft 16 des laufenden Jahrgangs diefer 3eitfcßrift.

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