Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers (14.1922)

fonders aud) den während des Krieges nach Holland gezüchteten Guftave de Sniet
eine der führenden Perfönlid)keiten des belgifd)-flämifd)en Exprefponismus. Von min-
deftens gleicher (Dichtigkeit, wenn aud) weniger bekannt wie Jan Sluiters, ift Leo
Geftel. Dm diefen zu ftudieren, muß man fid) an die Sammlung Boendermaker
galten, wenngleich aud) die Sammlungen Kröller und Beffie wertvolle Stücke diefes
l)od)gepflegten und reizvollen AAalers bewahren. Der Sammler Boendermaker, der in
Bergen (N. H) anfäfpg ift, l)at im übrigen feine befondere (Teilnahme jenen dort woh-
nenden Malern zugewendet, die man tyzute als eine zufammengehörige Schule emp-
finden und bezeichnen kann, den Brüdern Mattßieu und Piet (Iliegman, den Ärnout
Colnot, Filarski, (Dirn Schumacher ufw. Diefe Bergenfchen Maler fteßen fowol)l hin-
pd)tlid) der (Technik wie der geiftigen Gefinnung fcßroff den realiftifcßen Modernen
Hollands gegenüber, wie diefe fid) in der Kolonie Larens einen Sammelpunkt und einen
Sammelbegriff gefcpaffen haben.
In feinen Verfuchen, die optifd)e (Uirklichkeit nad) geiftigen Grundfätjen neu zu
fehen und neu aufzubauen, war Leo Geftel zu gewiffen Äbftraktionsbildungen gelangt,
von denen er jedoch feiger wieder abgekommen ift. Refoluter bewegten pd) auf
diefem ((lege die Leute der Stilgruppe vorwärts: B. van den Leck, Cr. Beekman,
Cpeo van Doesburg, Mondrian. Von dem lederen namentlich pnd viele Bilder bei
holländifchen Kunftfreunden verftreut; die vollftändigfte Überpd)t über diefe einheimifchen
fogenannten Abftraktmaler gewährt die Sammlung Kröller.
An das Ende diefer flüchtigen Betrachtung find die Sammlungen (Tak van Poortvliet
und Fj. van Affendelft zu fetjen, und zwar deswegen, weil in diefen beiden Samm-
lungen fid) die allermodernften Beftrebungen ein Stelldichein gegeben haben. (£Iäl)rend
in die Sammlung Kröller erft diefes Frül)jahr einige franzöfifche Kubiften eingezogen
pnd, fanden Fj. (Tak van Poortvliet und 5. van Affendelft bereits vor zehn und fünf-
zehn Jahren den (lieg zu den italienifchen und franzöfifchen Futuriften, den ruffifchen
und deutfchen Exprefponiften. Man pept alfo in diefen Sammlungen überaus feltene
Stücke der Holländerin Jakoba van Fjeemskerk, der Ruffen (£1. Kandinskg, Chagall, Jaw-
lensky, der Italiener Severini, der Deutfchen Marc, Campendonk, Klee, Schrimpf, der
Franzofen (Tobeen und Leger und da beide Sammler wie die übrigen auch, ihr Haus
gern zur Bepd)tigung den Kunßfreunden offen ftellen, fo hat der Kunftiiebhaber wie
der ausübende Künftler l)ier die Gelegenheit — ohne erft weit fort über die Landes-
grenzen fahren zu müffen — die modernften Ulerke der anderen Länder ftudieren
zu können.
Die Fülle und Güte des Bilderinhaltes, der pch in den holländifchen Privatfamm-
lungen vereinigt pndet, verbindet und ergänzt pd) untereinander zu einer folchen Viel-
feitigkeit, daß diefe Galerien zufammengenommen über alle Perfönlid)keiten und alle
Spielarten des neuen Kunftftrebens nicht nur in Holland, fondern in Europa überhaupt
einen zuverläfpgen Überblick gewähren. Es ergeben pch mithin die anregendften Ver-
gleichsmöglichkeiten zwifchen den einheimifd)en und den fremdländifchen Leitungen.
Gerade diefe Berührung von Bodenftändigkeit und Internationalität in den holländifchen
Privatfammlungen legt ein beredtes 3eugnis ab für die C£Ieltaufgefd)loffenheit ihrer
Beptjer und macht es anfchaulid), wie fehr die Künfte in Europa pch zu allen feiten
wechfelweife bedingen, fid) wechfelweife befruchten, wie groß alfo die geifüge Ein-
heitlichkeit ift, die trofs gegenfäblichem Anfchein unferen Erdteil im Innerften ver-
bunden hält.

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