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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 5
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Biermann, Georg: Neue Arbeiten von André Derain
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0239

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Neue Arbeiten von Hndre Derain
Mit acht Abbildungen auf fünf Tafeln Von GEORG BIERMANN

Im leijten [Hinter fal) man an verfd)iedenen Orten in Deutfd)land (Berlin, A'lünc^en,
Frankfurt) eine Derain-Äusftellung, die zufammengeftellt zu Ijaben, das Verdienft der
Galerie Flecfyttjeim war. Da faft gleichzeitig in anderen Kunftfalons eine Reihe
deutfcher Maler von Ruf und Anfeßen zu (Horte kam, wirkte das Auftreten des fran-
zöpfcßen Meifters auf deutfdjem Boden befonders inftruktiv und verlockte fchon aus
diefem Grunde zu verallgemeinernden Betrachtungen, die auch in diefem 3ufammen-
hang nicht ganz verfchwiegen werden [ollen. Sicher fehen wir Deutfcßen einen Künftler
wie Derain anders als es der Franzofe tut. Das ift fchon aus der Entwicklung der
Raffe heraus erklärlich- Hnd wie fehr wir auch danach flreben, über die Grenzfcheide
der Völker hinaus» Europa letjten Endes als kulturelle Einheit zu fafferi und zu er-
kennen, die aus hundert Quellen gegenfeitigen Durcßdringens geformt ift, und fo
fehr auch hiftorifcße Erkenntniffe den (Heg der Annäherung im Geiftigen verkürzen
mögen, das eingeborene Temperament zieht unwillkürlich Grenzen, fordert Vergleiche,
differenziert — oft ungewollt — bei der Betrachtung je nach Veranlagung und fubjek-
tivem Gefühl- Daß es fo ift und nicht anders, könnte in 3eiten, die politifd) weniger
verfeuert find als die heutigen, nur dazu beitragen, die gegenfeitige Achtung zu ftärken,
ja fogar in dem Gegner der Politik den Bruder künftlerifcher und geiftiger Gemein-
famkeit zu lieben.
Als wir feit Jahren wieder einmal Derain begegneten, gerade in dem Augenblick,
wo die (Hellen politifcßer Gegenfäije alle beffere menfchliche Erkenntnis zu erdrücken
drohten, überkam uns das (Herk diefes Meifters mit einem fo wundervoll ausgeglichenen
Gefühl des Friedens, daß wir unwillkürlich den Atem anhalten mußten, weil der Ein-
druck von fo viel Schönheit uns beinahe aus der Faffung bringen wollte. (Hir fudjten,
langfam taftend die (Hände jener Äusftellung ab, blieben hier und dort vor einzelnen
(Herken länger gefeffelt und erkannten in freudiger Erlöftheit das (Herk eines Mannes,
deffen Schöpfungen ohne weiteres zu den großen Offenbarungen diefer Seit zählen.
Ein paar Stunden fpäter — feltfames 3ufammentreffen der Tatfachen — gingen wir
dann zu Lovis Corinth, deffen 3eict)uungen und Aquarelle (befonders die letzteren) in
der Äusftellung bei Dr. Erwin Rofenthal-Berlin keine geringere Freudigkeit in uns
weckten, und von felbft ftieg der Gedanke in uns auf, wie wohl der Eindruck diefer
koftbaren Dinge in Paris fein müßte, wenn die Freunde in Frankreich wirklich den
Mut hätten, ihren Landsleuten einmal das (Herk eines der herrlichften „Barbaren“ vor-
zuftellen. Daß dies nicht möglich und kein Franzofe heute daran denkt, deutfche Kunft
in Paris zu zeigen, während bei uns mit einer durchaus fympatl)ifchen Gefte im Reiche
der Kunft die Tatfachen der Politik ausgefcßaltet werden — mag unabhängig von jeder
Htiiitaritätserwägung — doch den fdjönen Sajj des Dichters beftätigen, der in den
„(Hilden“ die befferen Menfchen fand.
In der Tat vollzieht fiel) innerhalb der europäifchen Kunft diefer 3ßlt immer augen-
fälliger der Prozeß paralleler, aber auch in fleh differenzierter Entwicklung, die ihre
ftarken Pole heute ausfchließlid) in Frankreich und Deutfchland befitjt. Diefe beiden
Völker drehen — wenn wir Rußland als Kunftprovinz für [ich betrachten — gleich-
mäßig das große Rad der geiftigen Kongruenz, fteßen im Verlangen nach letjten fyn-
thetifchen 3ielen wie Brüder des gleichen europäifchen ßeimatbodens, aber doch durch
Temperament vermieden, nebeneinander und meffen im edlen (Hettftreit des fd)öpferi[chen

Die (üiedergabe der Abbildungen von Andre Derain erfolgt mit freundlicher Genehmigung
der Galerie Simon, Paris und der Galerie Alfred Flecbtheim, Berlin.

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