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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 6
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Glaser, Curt: Aufgaben und Methode europäischer Forschung im Bereiche östlicher Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0270

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die als unmöglich gelten kann, fofern nid)t ißr Studium zum eigentlichen Inhalt einer
Lebensarbeit gemacht wird. Nicht weil die (£Iid)tigkeit der Sprachkenntnis geleugnet
wird, fondein weil menfd)lichen Kräften eine Grenze gefetjt ift, muß von feiten der
Kunftforfduing für eine Ärbeitsteilung eingetreten weiden, wenn nicht völlige Refignation
das Gebiet öftlicher Kunft der nebenamtlichen Bearbeitung durch die Sprachwiffenfcßaft
der Sinologie ausliefern foll.
Die innerhalb Europas felbftverftändliche Forderung, daß der Forfcßer die Sprache
des Landes, mit deren Kunft er fid) befd)äftigt, vollkommen beßerrfchen rnüffe, hat
keine Geltung im Bereiche des fernen Oftens, weil die Forderung als folcße unerfüllbar
ift. Mit diefem Verzicht aber entfällt auch die Möglichkeit der Anwendung gleicher
Arbeitsmethoden für beide Gebiete. Der Kunftßiftoriker, der die literarifchen Quellen-
werke und die Infcßriften, an deren Auslegung die zünftige Sinologie felbft oft genug
feheitert, im heften Falle nur höd)ft unvollkommen zu lefen imftande ift, fießt fiel) auf
die Mithilfe fremder Hilfskräfte angewiefen, und es kann nicht fein Ehrgeiz fein, etwa
in der Quellenkunde felbftändige Arbeit zu leiften.
Nad) f° viel negativen Beftimmungen ift endlich die Frage erlaubt, was denn der
von allen Seiten eingeengten Forfd)ung an Aufgaben verbleibe, was ihrer Methode
erreichbar fei. Es ift in der Cat genug, und es läßt fleh mit einem (Horte fo definieren,
daß ihre Bemühung auf die Bereitftellung des Materiales für die große Aufgabe einer
ÜMtgefd)id)te der Kunft gerichtet fein folle. Im Verlaufe der lebten Jahrzehnte hat
fleh der Horizont der hiftorifchen Kliffenfchaft außerordentlich geweitet. Es geht nicht
mehr an, ÜIeltgefd)id)te vom engumgrenzten Standpunkt europäifdjer Überlieferung
zu betrachten. Für die Gefehlte der menfchlichen Kultur find Indien und China nicht
minder wichtig als Ägypten und Griechenland. Diefer Erkenntnis gilt es zu dienen.
Es gilt, die Baufteine für eine umfaffende Gef<hid)te der künftlerifd)en Betätigung des
Menfctjen zu bereiten, und es gilt, einer allgemeinen Kunftwiffenfd)aft das Material zu
liefern für eine nicht einfeitig im klaffifchen Kanon befangene Ergründung der Möglich-
keiten und Notwendigkeiten fchöpferifcher Formbildung.
So erweift fid) die kunftl)iftorifche und äftl)etifche Deutung des neu in den Gefid)ts~
kreis eingetretenen Materials als die erfte Aufgabe. Aus Formbeziehungen find die
hiftorifchen Verknüpfungen der Stile, aus Formveränderungen entwicklungsgefd)ichtlid)e
Vorgänge abzulefen. Solchem 3weck vermögen die am europäifchen Material erprobten
Methoden in gewiffem Maße zu dienen, und fie geben dem Forfcßer ein Rüftzeug an
die Hand, das feiner Arbeit in der gewiefenen Richtung Überlegenheit über die nur
das Einzel werk deutende Analyfe öftlicher Kenner fießert. Es wäre nutzlos, mit diefem
auf feinem eigenen Gebiete in (üettbewerb treten zu wollen. Aber den vorbereiteten
Stoff den größeren 3ufammenhängen einzuordnen, ift eine Aufgabe, die derjenige zu
unternehmen hat, der über dem Einzelnen das Ganze im Auge behält, der in der
fpeziellen Formgebung das übergeordnete Gefetj zu erkennen fiel) bemüht.
Eine nicht zu unterfchätjende Gefahr droht auf diefem (Hege. Dem Europäer liegt
es felbftverftändlid) nahe, die Schöpfungen der Afiaten mit den (Xlerken eigener Kunft
zu vergleichen. Ob diefer Vergleich — je nad) Gefd)mack oder Laune deffen, der ihn
anftellt — zugunften der einen oder der anderen Seite ausfällt, ift relativ unerl)eblid),
gefährlich ift der Vergleich als foicher, da er notwendig zu fd)iefen Urteilen führt.
Aber felbft die unbedenkliche Anwendung der uns geläufigen äftl)etif<hen Grundbegriffe
auf das neue, fremde Material muß bedenklich erfeßeinen. Diefe Begriffe find auf
empirifd)em (Hege gewonnen, aus der Analyfe weftlid)en Kunftfd)affens. Sie felbft
füllten, anftatt auf ein anderes Material angewendet, an ihm vielmehr zunächst nach-
geprüft werden. Es kann nicht die Aufgabe fein, öftliche Formen in das an weftlid)er
Kunft erprobte Begriffsfyftem zu zwingen, fondern diefes Syftem felbft zu erweitern,
aus dem Material öftlicher Kunft die Begriffe abzuleiten, die feiner Deutung dienen und
auf der fo gewonnenen, breiteren Grundlage den gemeinjamen Nenner zu finden, der

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