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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 12
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Raynal, Maurice: Georg Kars
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0566

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lidjen nid)t jene Vorperrfcpaft zugeftehen, wie es der Kubismus getan pat, denn an
fic±) ift die Reflexion der Kunft nicpt fremd wie die Praxis der Akademiker; im Gegen-
teil muß fiel) der Gedanke auf die Form und die Farben übertragen, wenn ihm der
wapre Maler folgt. Fjeute geftepen die Senfualiften wie es die Übertreibungen der
„Fauves“ unzweideutig dartun, dem Reflektiven in der Kunft überhaupt keine Exiftenz-
bereeßtigung mehr zu. Sie denken, wenn man fo fagen will, ausfcpließlicp in Farben,
aber vergeffen die gedankliche Difziplin der Form, d. p. die vollendete plaftifcpe Ein-
heit der Idee. Man könnte uns fagen, daß die geringe Beachtung, die fie der rein
verftandesmäßigen Konzeption in ihrem Klerk entgegenbringen, aus einer gewiffen
anard)iftifd)en Ideologie entfpringt, die ein 3uviel von Freiheit ihren Sinnen ver-
mittelte. Andererfeits geht unfere Anpd)t weit ab von der eines Ferrari, der be-
hauptete, daß man erft in feiner Vorftellung vollftändig die Kompofition vor Augen
haben müffe, bevor man nach der Natur einen Pinfelftrid) machen dürfe.
Die Kunft von Georg Kars belegt ausgezeichnet das GCIort eines Rivarol, daß das
Kiefen, das denkt, immer auch fühlt- In feinem Klerk überzeugt zuerft die hohe In-
telligenz. Man empfindet deutlich, daß er die Alten ftudiert hat und jene unvergäng-
liche Klarheit der Kunftgefchichte, um ihnen den wirklichen Sinn aller Äftpetik und
plaftifcpen Geftaltung zu entnehmen, nicht im Sinne einer Nachahmung, fondern um
diefe fundamentalen Beifpiele feiner eigenen Imagination zu vermählen. Er fieht diefe
Vorbilder nicht im Sinne einer toten Formel, fondern durchaus geiftig. Er nähert fid)
ihnen, wie es die großen Dichter tun, wenn fie ein Gemälde fd)affen; er wird niemals
fagen: „Die Nacht ift fd)warz, wie dies oder jenes Objekt“, fondern nach dem Bei-
fpiel von Mallarme: „Die Nacht ift finfter wie ein fchwarzer Kater“. D. h- die von
ihm offenbarte große Form feiner Gemälde, zumal feiner Akte, wird fid) nie an ver-
altete und einfach gegebene Vorbilder anlehnen, fondern er gibt ein Neues, das er zur
Klirklicpkeit verdichtet, den pnnfälligen Eindruck formalen Seins, der fid) in feinem
Geifte realiperte und zwar in einem Geifte, der in lyrifcper Plaftizität die volle Kraft
der Imagination zurückftraplt.
So bewundert man vor allem an feinen Figuren das Verlangen nad) ßaltung, die
trotj pnnlid)fter Grazie oder einer durchaus menfd)lid)en Kraft der Gebärde immer der
Gefamtkompoption unterliegt und eine bemerkenswerte Gephmeidigkeit im Rahmen des
plaftifchen Aufbaus hat, der durch eine gemäßigte Emppndfamkeit überzeugt. Niemals
vergißt Kars mit dem Grafen Caylus, daß „die Kompoption die Poefie der Malerei ift“.
Und in diefem Sinne knüpft fein plaftifcpes Denken die Beziehung zwifcpen der Form-
gebundenheit feiner Geftalten und jener zweidimenponalen Fläche, auf der er pe ver-
teilt. Niemals überfiept Georg Kars die zwiefache Aufgabe, die ein Gemälde zu
erfüllen hat. Die Befonderpeiten des von ipm gefepaffenen Sujets, d. p. die Entwick-
lung des Gefamtaufbaus der Maffe und der ipr gemäßen Linienführung und daneben
den Parallelismus der vier Umgrenzungen feiner Leinwand, die gewiffermaßen das
Klerk palten, es im Auf und Ab begleiten und feftigen. Fjier muß angemerkt werden,
wie Kars es beinahe mühelos fertigbringt, den Geilen feiner Bilder das innere Gleich-
gewicht zu geben, indem er in erftaunlicper Kleife den kühnen Schwung gewiffer
Linien, der und jener Ballung das letzte Gleichmaß entgegenftellt. Nirgends wird der
Rahmen durch eine Küpnpeit gefprengt. Diefe Catfacpe ift Ausßuß feiner Klugheit und
feines plaftifcpen Gefühls, und fo zeigt pep Kars immer maßvoll im Sinne eines Me-
chanismus feiner Linienführung, deffen Funktion einem verborgen bleibt. Aus diefem
Grunde kennt das Oeuvre von Kars weder künftlicp Gewolltes, noch erfepeint es ge-
ziert. Befter Beweis innerer Difziplin und des gefundeften Gefühls für die Form, das
man pep denken kann.
Im wapren Sinne des Klortes ift Kars künftlerifcp ein pnnlicper Schöpfer. Für ipn
ift Malerei nichts als Malerei, und dies, weil er zutiefft über den Sinn feiner Kunft
naepgedaept pat. Sein Klerk ift gleich groß als Malerei wie als Kompoption. Kleit

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