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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 13
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Roh, Franz: Zur Interpretation Karl Haiders: eine Bemerkung auch zum Nachexpressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0625

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Bezüge des Expreffionismus behält, diefe andrerfeits aber zu etwas durchaus Neuem
wandelt. Der Begriff des „magifcßen Realismus“, der für die einfetsende Epoche ebenfalls
angewandt werden kann, deutet das Neue an, verzichtet dafür aber auf den Äusdruck
der Kontinuität. Es ift klar, daß auch mit diefer Richtung fiel) das Intereffe an der Ver-
gangenheit wieder wendet, was fich, um nur ein einziges Beifpiel zu nennen, in wad)fender
Erörterung der Kunft aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts zeigt. Auch das Quattro-
cento dürfte neue Äktualität erreichen und neue Deutung erfahren, wofür z. B. die
geheime Rezeption fpridtjt, wie fie in Bildern (S. 380 diefes Jahrganges) vonMenfe vorliegt.
ünter diefem Gefid)tspunkt feien gerade die Jüngften auf Karl Fjaider ßingewiefen,
für deffen Landfcßaften die befte Stunde nun gekommen feßeint.
Glücklicherweife erringt fich alles Reine feßon früh ein Grüppchen Freunde. So hatte
auch Fjaider, der nicht zu verwecßfeln ift mit feinem Vater und feinen malenden
Söhnen, die eine Biographie vorbereiten, einen fd)malen Grupp herzhafter Verteidiger.
Doch war der ftille Mann, der feit den fiebziger Jahren arbeitete, eingeklemmt in eine
gefd)ichtliche Lage, die ihn nicht recht zur Auswirkung und Schulbildung kommen
ließ. Einmal war es der malerifcße Naturalismus des Leiblkreifes, der ißm das GCIaffer
abgrub, da jener Kreis fict) in finnlicßem Stoffgenuß erging und die begehrte malerifd)e
Subftanzbreite aufwies. Auf der anderen Seite war es der Bezirk Böcklins, der den
rein zeießnerifeßen Ernft, der Fjaider nahelag, mit einem öfters gleißenden Bühnenpathos
fchmackhaft zu machen wußte. (Die reinen Leitungen Böcklins dürften ebenfalls neue
Aktualität gewinnen.) Beide Sphären haben auf Fjaider eingewirkt und ihn bisweilen
bedroht.
Clio er aber felbftkräftig blieb, hat er jene Lebenskreife zu ganz neuem Sinn ver-
bunden, indem er tragifcß gehaltenen Ernft böcklinfcher Dinglichkeit nun an der lieben
Beimaterde auswirkte, ohne gegenftändlid) in die Ferne abzufchweifen. Er wurde
dabei zum Fortführer jener Landfchaftsart, wie fie etwa C. D. Friedrich verwirklicht
hatte, durchfefet mit den größeren Flächen der Nahform, welche die zweite Fjälfte des
19. Jahrhunderts mit fich brachte. Klar Fjaider nicht immer glücklich im Figurenbild,
fo gehören feine Fjauptlandfcßaften zum Beften, das uns das 19. Jahrhundert überhaupt
gefeßenkt hat.
Die auf Seite 599 abgebildete fjerbftlandfcßaft in größtem Format (augenblicklich im Befiß
von Caspari, München) fei Beleg für das Gefagte. Sie war imftande, Maler der jüngften
Generation tief zu erregen. Die Gründe dafür, follen fie rational angegeben werden,
liegen in der Verbindung beinah all der Elemente, die dem entgehenden Nacßexprefpo-
nismus — mindeftens feiner Fjauptlinie — wichtig find: Durchs Bildganze laufende
Großform im Sinne einer faft geometrifchen Abftraktion. In diefe aber nun einbe-
zogen die reinfte Gegenftändlichkeit in minutiöfer 3eid)nung. Alfo jene Verfcßränkung
des Riefigen und KJinzigen, des Makro- und des Mikrokosmos. Somit auch räumlich
jenes „Neue“: magifeße Begegnung der Vordergründigkeit der Fjauptgeländekeile mit
dem Pßänomen der Ferne als Kleinform, wieder im Sinne jenes magifcß Simultanen.
(Der reine Expreffionismus dachte nur großformig und nur vorderfeßießtig.) Dazu
als letjtes: Nichts vom 3efreißen und 3ertaumeln der Bilderfcßeinung des älteren Ex-
preffionismus. Sondern der Reiz des unerbittlich Gebannten, Feftgelegten, der Verfeinerung.
Klie offenbart fieß uns das Großgefüge diefer — beinahe Bruegellandfcßaft. ünter
weitßin hallender Klolkenbaßn (tragfäßiger und doeß atmofphärifeßer Lichtebene des
Fjimmels) liegt „nächtliches“ Land, vertraut und dennoch wie ein riefiges Getier in
fremdem, luftentleertem Raum. Seltfame, igelartige Klaldballungen feßeinen feitlicß und
von hinten angekroeßen, drohend ftill und breit gelagert auf den zarten KJiefenfläcßen.
Von vorne rechts greift ähnliches, machtvolles und dabei poröfes Kugelfegment ent-
gegen, als weitere Dunkelballung. 3wif(h^n den Maffen feßwingt und feßweigt Kliefen-
fläcße, eben fähig, jene Laft zu halten. Kein Menfcß und kein Getier regt ficß, nur
Erde weilt und dehnt ficß in die Kleite. Erde, die überwuchert ift mit Pflanzenvielfalt.
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