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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 15
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Schmidt, Paul Ferdinand: Emil Nolde
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0701

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Emil Nolde

Von PAUL F. SCHMIDT
Mit acht Tafeln

Im Mittelpunkt der erften großartigen Erhebung, im 3entrum aller Schnittlinien deutfcper
Ausdruckskunft, ftept Emil Nolde. Er berührt fiep mit faßt allen Begebungen der
lebten dreißig Japre, fofern fie nicht auf bloße Form und Abftraktion ausgehen, und
man kann von ihm aus Linien ziehn zu van Gogh, Munch, Enfor, zu den Malern
der Brücke, ja fogar zu Liebermann; und von Paula Moderfopn-Becker bis zu den
heutigen Erlernungen Fjofers und Kokofd)kas gibt es kaum einen Geift von Rang
(und auch ohne Rang), der nicht Verwandtes mit Nolde ankiingen ließe. Aber immer
ftand Nolde für fiep, ohne Abfid)t und ohne Scheu, fiep zu ifolieren; feine norddeutfche
Natur war jedem Schulwefen und jeder Abhängigkeit fo gründlich abgeneigt, daß er
pich nur in der Einfamkeit wohlfühlen konnte. Er berührte fiep mit allen, weil feine
Natur fo grenzenlos reid) war; aber er identipzierte fiep mit keinem Menfcpen und mit
keiner Bewegung. In fid) fand er den unendlichen Reichtum von Form und Gepalt,
der ipn vor allen Lebenden auszeiepnet; was er von Anregungen aus der Kunftwelt
überkam — [ofern man davon fpreepen kann — ging reftlos verarbeitet in fein
Eigentum über. (Hie fern ftept er van Gogh und dem Imprefponismus, von denen
aus er [eine Wanderung antrat, wie fern auch Enfor, deffen wahlverwandte Groteske
er innig liebt, und Edvard Muncp, von dem ipn die unbegrenzte ÜLIelt der Farbe
fepeidet.
Aud) die Verbindung mit der Dresdner „Brücke“ dauerte nur kurze 3^it, von 1905
bis 1907. Sie brachte gegenfeitige Anregungen in Fülle, vor allem auf dem Gebiet
des Grappifcpen, auf dem fie alle wahrhaft bahnbrechend gewirkt paben in jenen
wunderbaren Frühjahren, da fie unbekannt und arm, von niemand ermuntert, den Grund
zu einer großen 3ukunft deutfeper Kunft gelegt paben. Aber im innerften CGefen füplte
pd) Nolde den unruhigen Geiftern aus Sacpfen fepr fremd und löfte die Verbindung,
als man einfap, auf wie unterfcpiedlicpe Siele die Reife gehe. Seitdem lebte er einfam,
im Sommer an den Küften Schleswigs und Alfens einem ßammenden Scpaffensraufcp
pingegeben, im Ulinter in der küplen' Nüchternheit Berlins; beharrlich feinen Cüeg ver-
folgend, achtlos gegenüber dem gepäffigen Spott und Scpmäpen feindlicher Umwelt —
und zumal der banaufifepen Rezenfenten, von wenigen Freunden verehrt und geftü^t,
und langfam pep durch Elend und Not pindurepwindend zu einem Leben waepfender
Anerkennung und Erfolge. Die ipm aber noep um kein f)aar von feiner felbfterwäplten
Lebensweife und Ifolierung paben abziepen können: aud) darin bildet Nolde faft ein
peroifepes Beifpiel jener wikingerhaften Standhaftigkeit und Lebenspcperpeit, die zu
feiner Kunft gehört als das natürliche Ed)o menfcplicper Größe.
Darum verßoß aud) fein Leben — niept unähnlich dem fjodlers — in einfachen
Linien. 1867 in Nolde bei Condern geboren, im deutfepdänifepen Grenzgebiet, be-
[uepte er die Flensburger Scpnifefcpule von 1885—89, wovon ipm die Luft zu bafteln
und eine Anzahl fpäterer ßolzfcpni^ereien kamen. 1892—98 war er Leprer an der
Facpfd)ule von St. Gallen, und damals patte er einen glücklichen Einfall: Entwürfe zu
Anficptskarten zu malen, welche Schweizer und Ciroler Berge in grotesker Uleife ver-
menfcplicpten. Diefe, übrigens fepr guten, farbigen Poftkarten, unter einem Decknamen
in den Handel gebracht, erregten feinerzeit bedeutendes Auffepen und brachten ipm
foviel ein, daß er auf eine Reiße von Japren gefiebert war und nad) München gepen
konnte, um dort das Malpandwerk gründlich zu lernen.
Man wird von diefer Münchner Schulung in feinen früpeften Arbeiten — Bauern-
und Landfcpaftsbildem von 1901 — niept fepr viel entdecken. Sie fuepen die male-
rifepe Erfcpeinung zwar auf dem dort üblichen paftofen und dunkeltonigen tüege, aber
durchaus nordifcp gefärbt und opne eine Spur von den gefälligen Atelierrezepten der
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Der Cicerone, XV. Jaljrg., Fjeft 15

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