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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 18
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Schürer, Oskar: Das Werk der Paula Modersohn-Becker
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0839

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Das tüerk der Paula Moderfopn-Becker

Von OSCAR SCHÜRER

Mit zehn erstmalig veröffentlichten Wiedergaben ihrer Bilder1

ir wollen nocp einmal unter diefen ftillen Bildern verweilen. Ipre warme Glut


umfängt uns lind und ftark. ,Die pe fcpuf, ift ein falbes Menfcpenalter tot.

" * Sie ftarb an iprem Kinde. Es ift, als pätte ipr Leben nur zu diefer Symboli-
perung ipres tiefften Kiefens ausgereicpt, als patte pe damit iprem Gefetje Genüge
getan, dem tiefften Gefetje des Kleibes. önd patte mit folcper Erfüllung verzicpten
müffen auf Dauer und Scpaffen.
Äls Einunddreißigjäprige ift fie geftorben. Sie pätte nocp leben können, könnte nocp
unter uns weilen. Nun aber ift es, als pätte die durch ipren Cod freigewordene In-
tenptät fiep zurückgefammelt in ipre Bilder, als fpräcpen die nun lebendiger zu uns,
da fie ein doppeltes Leben zu tragen paben, zum eigenen das, dem pe entftiegen find.
So emppndet man op vor Klerken Früpverftorbener. önd pier befonders, vor dem
Klerk, das fo tief pineinragt in unfer peutiges Füplen.
Denn nocp immer ift es ftarker Ausdruck deffen, was uns bewegt. Nichts ift ver-
blaßt an diefem andächtigen Scpauen. Noch bildet es unferen Menfcpen, geftaltet
unferen Gag. Klas aber ift es, das wir als verwandt emppnden in diefen Bildern, die
zwei Japrzepnte zurück ein Leben bezeugen, vertraut dem unfern. Über pe alle pin-
weg rüprt uns die tiefe Klaprpaftigkeit diefes Scpauens, feine warme Glut. Das zum
Leben felber wieder dringt und zwifepen Programmen und Flücpen diefer 3^it im klaren
Grunde feines Ernftes rupt. Ein Leben wapr gelebt und nape der Erde durcppulft dies
Scpaffen, ein Strom vertrauter Näpe allem Sein.
Der fteigt und finkt, gleichmäßig fpült er durep alle Schichten diefes Klerks, bindet
die Ppafen und taucht ein gleicher auf im lebten Bilde wie im erften. Nicpt paftet er
von Figur zu Figur. Ein fefter Kreis der Motive, dem dies Kiefen verpflichtet ift,
keprt immer wieder. Motive des Kleibes: Kind, das auffteigt aus den Blumen-
gefepwiftern, alter Menfcp, der zurückfinkt ins Kleben der Pflanzen. Inmitten mütter-
liches Kleib, verlangend naep dem Kinde, wartend und dumpf; im Glück der Erfüllung
reifend zu großer Geftalt, und wieder in pep zurückgekeprt zum dumpfen Graum des
Seins. Klie Guirlanden darum das Kind im Spiel mit den Gieren, bekränztes Mädchen
mit ftaunendem Blick, Köpfe im Craumflor ipres Kiefens. Äucp im Stilleben kein
Gegenfah zum Bild des Menfcpen, als Cräger etwa einer dort nicpt geftalteten Lyrik,
einer fpezielleren Kompofition oder Färbung — ein Klarten und Cragen pier wie dort,
felbftlofer nur, aber in der Feierlichkeit der Scpau gleichen Kiefens wie jenes.
önd wie diefer Strom nur feine eigenften Motive trug, fo fcpuf er pep auep die
Form, in der er bildet: ein Sicprunden und Kreifen, ein leifes Verfcplingen (bis in die
zarteften Lagen der Striepe pinunter), ein 3urück in pep felbfl. Gern windet fie Kränze,
fepreibt fie in einem Brief, und daß dies ipr Kiefen ausdrückt, beweift ipre Kunft. Nicpt
nur die Kränze, die ipre Geftalten im ßaar tragen, die Ketten, die fiep um F)als und
Arme fepmiegen, künden ein gleicpes. 3ur Kranzform runden pep die Linien des
Fjalsausfcpnittes, der Brüfte, der Gelenke, ins Kreisrund neigen Konturen der Köpfe
und Fjüte, der Scpalen, der Frücpte, kreisrunde Scheiben dienen zur Unterlage mancher
Geftalt. önd nocp die Schwingung des ganzen Bildes fepnt fiep ins Kreisrund zurück.
Ein flilles Kreifen ift das gepeime Gefetj, das in den Stilleben komponiert, kein Aus-
gleich zweier Pole, fondern Angleicp formaler Laften um unpeptbare Zentren, önd

1 Die Veröffentlichung diefer bisher unbekannt gebliebenen ttlerke wurde ermöglicht durch das
freundliche Entgegenkommen Otto Moderfopns, dem pierfür auch an diefer Stelle wärmfter Dank
gefagt fei.

Der Cicerone, XV. Jabrg., ßeft 18

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