Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

DOI Heft:
Heft 20
DOI Artikel:
Mende, Dietrich: Rudolf Levy
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0930

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Rudolf Levy

Von DIETRICH MEN DE / Mit
acht Abbildungen auf vier Tafeln

Die Kämpfe für oder gegen den Expreffionismus find verebbt. Die Leidenfcfyaften
der Streiter haben fiel) anderen Gebieten zugewandt, Indien, Kayferling, Steiner
bieten Möglichkeiten in Fülle. Äb und zu erinnert die Frage eines harmlofen
3eitgenoffen: „ob der ,Expreffionismus“ fd)on tot fei“ daran, daß es — wie lange
her! — einen „Deutfchen Expreffionismus“ gab. fjeute erfdjeint grotesk, daß eine
Richtung exiftierte, die ein Formungsprinzip, eine Ausdrucksmöglichkeit als endgültig,
unbezweifelhaft richtig Natürlich immerhin, daß dem impreffioniftifchen Form-
kult, überfteigerter Objektivierung, bohrender Änalyfe die Reaktion folgte. Natürlich—-
wo? In Deutfchland, wo man mit Inbrunft einfeitig ift, eben erfundene (oder neuent-
deckte, was das gleiche) Wahrheiten als letjte Erkenntnis proklamiert und fie in den
Rang des Abfoluten erhebt, bis eine „neue“ Wahrheit fie ablöft. Moden kommen und
gehen; diefe herrfcht länger, eine andre kürzer. Der Äuflöfungsperiode des Impreffio-
nismus bis zur Objektzerlegung in Formatome mußte, Notwendigkeit der Natur, ein
Wollen folgen, deffen 3iel Wiedergabe von Idee und Stimmung; deffen Methode vor
Durchbrechung der Form nicht fchreckte, wenn der Gehalt es forderte.
Wie aber nur der deutfche Impreffionismus einfeitig wurde (denn Monet, Piffarro,
Sisley) haben über feinfterForm niemals das Geift-hafte, Stimmung-gemäße vernachläffigt),
indem er nichts als die Form pflegte — fo ward es auch nur der deutfche Expreffio-
nismus in der Älleinwertung des Gehaltlichen. Kein Lehrer jüngerer deutfcher Kunft,
weder Munch noch Matiffe, Kandinfky oder Picaffo, \)at auf die Form verzichtet. In
Deutfchland überfah man, daß dem Objekt gemäße Formgebung noch nicht Gn-
Form heißt-
Fjeute find die Formeln verblaßt; blutleere O)eorie ihren Reiz verloren; man phi-
lofophiert und malt nicht mehr die Verabfolutierung der Idee des Unendlichen. Man
fieht ein, daß das Natürliche wie überall auch in der Kunft das Befte; daß der Malerei
fo wenig wie dem Leben mit Formeln beizukommen ift — am wenigften mit folcßen,
die der Kunftfoziologe prägt. Das Gn-Erzwungene, Selbftverftändliche ift, beinah über
Nacht, an den Platj gelangt, der ihm gebührt. Es ift 3ßit feftzuftellen, daß es auch
zwifchen Elsheimer und Pechftein Maler gab und gibt. Darf man von Runge und
Friedrich fprecljen, ohne als Kunftreaktionär verfchrien zu werden, dann erft recht von
den Lebenden, die nicht mit Afrikas Wiedergeburt in deutfcher Seele blufften oder mit
expreffioniftifcher Ethik (bald gibt es eine Steinfetjerethik, die Glasbläfer, Fleifct)-
befdjauer, Damenfrifeure werden nicht Zurückbleiben wollen, welche Perfpektiven). Man
braucht nicht die Vergangenheit zu begraben, weil man heute andre Löfungen male-
rifcher Probleme fieht als einft. Mancher dachte nie daran, die Tradition fortzuwerfen;
diefe find es, denen die Stunde gehört. Sie haben dem Lag keine Konzeffionen ge-
macht; gingen ihren Weg und fanden eignen Stil mit der Sicherheit, die eine auf
befter Cradition erwachfene Kultur verleiht.
Kultur; Stil: Keine Begriffe umfchreiben wie diefe das Wefentliche von Rudolf Levys
Kunft. Kultur und Stil laffen ihn zu der von andern — ach, wie! — heftig begehrten
und nicht erreichten Synthefe gelangen. Eine natürliche Betracljtungs- und Anfchauungs-
weife führt ihn dahin; ftrömendes Cemperament; Freude an der Welt, der nichts fo
fern liegt wie metaphyfifche Jenfeitskonftruktion.
Die Monumentalität freilich, von der die deutfchen Expreffioniften träumten, wird
man in Levys Blumen und Landfchaften vermiffen. Aber man follte bedenken, daß es
noch andre Aufgaben für die Malerei gibt als die fixtinifche Kapelle und daß Stil
immerhin einiges bedeutet, Gnd konftruktive Erfaffung — fie war eine Programm-
forderung der deutfchen Expreffioniften; bei Levy ift organifche Erfaffung ohne 3uhüfe~

904
 
Annotationen