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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 22
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Grosse, Ernst: Die Kunstsammlungen in Tokyo
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#1015

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Die Kunftfammlungen in Cokyo
Von ERNST GROSSE

Durd) die Kataftrophe am 1. September hat das japanifche Volk und mit ihm die
ganze Menfchheit einen Verluft erlitten, der in Europa bisher nur wenigen zum
Bewußtfein gekommen zu [ein fcheint, fpäter aber vielleicht länger und bitterer
empfunden werden wird als der Verluft an Menfdjen, den man zunächft begreiflicher-
weife am meiften beklagt. Das Erdbeben mit feinem Gefolge, Flut und Brand, hat
aller iGahrfcheinlichkeit nad) einen großen Ceil der japanifdjen, d)inefifd)en und kore-
anifchen Kunftfchäjje vernichtet, die den koftbarften und unerfetjHchften Befitj Japans
bildeten. Freilid) haben weder Cokyo noch der ganz moderne Fjafen- und Fjandels-
platj Yokohama zu den großen tüerkftätten der Kunft gehört wie die alten F)aupt-
ftädte des Reiches. Die Cempel und Paläfte Cokyos, das nur wenig mehr als 300 Jahre
alt ift, ftehen an künftlerifdjer Bedeutung weit h'nter den wundervollen alten Bauwerken
Naras und Kyotos zurück. Selbft die beften, die von den Fremden angeftaunten Grab-
tempel der Cokugawa Shogune in den Fjainen von Qeno und Shiba zeigen wie die
ähnlichen, nod) berühmteren in Nikko, mit ihrer etwas aufdringlichen, bunten Pracht
nur den Spätherbft der buddhiftifchen Architektur. Aber wenn Cokyo auch nicht eben
viele und große eigene, bodenftändige Kunftwerke aufzuweifen vermochte, fo hatte es
dafür als der Sitj der kaiferlichen Regierung und der Glohnort der vornehmften und
reichften Familien aus allen Ceilen des Landes eine wahrhaft ungeheure Menge der
wertvollften Dinge zufammengezogen. In Cokyo war der japanifche Kunftbefitj zen-
tralifiert wie es der franzöfifche in Paris ift. Für die meiften Bewohner und Befucher
der Stadt war von diefen Reid)tümern allerdings nur das fichtbar, was dauernd oder
zeitweilig in dem Kaiferlichen Mufeum im Geno-Parke zur Schau ftand. Diefes Mufeum
ift nach öen Berichten der 3eitungen eingeftürzt. Gm das Gebäude ift es nicht fchade.
Dem älteren Ceile, der nach dem Entwürfe des amerikanifchen Architekten Conder in
fogenanntem orientalifchem Stile aus rotem Backftein aufgeführt war, kann man weder
Schönheit noch 3weckmäßigkeit nachrühmen, — und der neuere, eine Stiftung zur
FJochzeit des damaligen Kronprinzen, [teilte ein ziemlich vollftändiges Kompendium der
Fehler dar, die der Mufeumsbaukunft gelungen find. Aber der Kern war beffer als
die Schale. Vor allem enthielt das Geno-Mufeum die größte und befte öffentliche
Sammlung von öüerken der japanifd)en Gerätekünfte, die in den Mufeen von Kyoto
und Nara nur unzulänglich vertreten waren. Nur h*er konnte der Freund der japa-
ni[d)en Keramik, dem die Privatfammlungen nicht offen ftanden, eine einigermaßen
umfaffende Anfchauung diefer eigentümlichften Kunft des fernen Oftens gewinnen, die
[ich in Japan allein aus einem Kunftgewerbe zu einer Kunft im höchften Sinne des
(Gortes entwickelt hat. Von den großen Cöpfern der Cokugawaperiode, Ninsei, Koy-
etsu, Kenzan und ihren Nachfolgern [ah man ganz vortreffliche Arbeiten, die zum
Ceile durch Abbildungen auch im Auslande bekannt geworden find; und in nicht
minder gut gewählten (Oerken lernte man die fd)lichtere aber vornehmere Art der
älteren Meifter kennen, welche die klaf[ifd)en Gefäße für das Chanoyu, die Ceezere-
monie, gefchaffen haben. — Noch reicher war die Abteilung der Lacke, die nicht nur
viele japanifche Stücke höchften Ranges, fondern auch ausgezeichnete alte d)inefifche
befaß; befonders die prächtigen Farbenlacke der Mingperiode, die in Europa noch
kaum bekannt find, habe ich nirgends in fold)er 3ahl und Güte gefunden. Plaftik
und Malerei traten im Geno-Mufeum zwar nicht ganz fo überwältigend auf wie in
Nara und Kyoto, aber immer noch imponierend genug. Gnter den plaftifchen COerken
[ah man eine Auslefe jener älteften buddhiftifchen Bronzefiguren, die aus der Schah-
kammer des Fjoriujiklofters in den Befitj des kaiferlichen Haushaltes übergegangen

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Der Cicerone, XV. Jabrg., Ijeft 22

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