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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Martinie, Henri; Prud'hon, Pierre-Paul [Gefeierte Pers.]: Pierre-Paul Prud'hon
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0418

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Pierre-Paul Prud'ljon

Von H. MARTI NIE / Mit
vier Abbildungen auf drei Tafeln

Er wurde am 4. Äpril 1758 geboren, in jenem Cluny, das im Mittelalter das [trengfte
und vornefymfte Kunftzentrum war. Als zehntes Kind der Familie zeigten [eine
1 Brüder nur Gleichgültigkeit gegen ihn. Sein Vater arbeitete als Maurer und Stein-
metj. Vielleicht machten [eine Ähnen, [o nahe bei der Äbtei, einige ihrer Kapitelle . . .
Doch das find Cräume. Die unmittelbare <Hirklid)keit erwies [ich für Prud’hon un-
erbittlich) hart und feindlich. Der Ruhm der 3i[terzien[er-Abtei war längft verblichen,
und wenn die Mönche am Ort in [einer Jugend [eine leiden[djaftliche Vorliebe für das
3eid)nen begünftigten, [o fiel, als er zu eigenem Bewußtfein kam, die „Gotik“ gerade
in Mißachtung bei den Gebildeten. Eine liebenswürdige Kunft machte [ich in den Bou-
doirs breit. Sie erftickte unter Spieen und Schminke. Ja, fd)limmer noch, die gefell-
fchaftlichen und geiftigen Grundwerte wankten.
All das berührt Prud’hon nicht. Für ihn entzündet und läutert [ich das Leben durch
das Feuer, das ihn befeelt. Die Armut überwindet er mit fjilfe von Gönnern, die er
für [eine Arbeiten zu intereffieren weiß. Klas ihm fehlt, das fordert er von ihnen, und
er trägt vor allem Sorge, [ich am Beifpiel anerkannter Meifter zu [chulen. In einer 3eit,
wo alles zerfällt, wo die erprobtere Ordnung [ich auflöft, ift es ein fd)önes Schaufpiel,
das gerade und gefunde Vertrauen Prud’hons in [eine Sendung zu beobachten und die
Leichtigkeit, mit der er [ich Gefetje [chafft, was ohne 3weifel das (Hefen des Schöpfe-
rifchen ausmacht. Prud’hon weiß wohl, daß er herrliche Gaben beßfet, die freilich ge-
fährlich find und bezähmt [ein wollen. Aber zum Glück weiß er auch, daß er troij
einiger Erfolge nichts weiß und noch viel lernen muß. Ich wüßte nicht, daß man auf
den 3ug gefunder Frifcße und inbrünftiger Unterwürfigkeit im Charakter Prud’hons ge-
nügend hingewiefen hätte. Ein Myftiker würde hierin das Seiten der Vorfehung und
höchften Gnade erblicken. Man müßte als 3eugnis für diefe Anlage den fchönen Brief
vollftändig zitieren, den der Künftler an ßerrn von Joursanvault, [einen burgundifchen
Gönner, [chrieb, um ißn zu bewegen, ihn nach Paris fahren zu laßen:
„Lassen Sie mich nach Paris gehen, Monsieur; dort werde ich nicht allein Werke schaffen, die
Ihrer und meiner würdig sind, ich werde auch im Stande sein, keinen Augenblick zu verlieren, son-
dern mich mehr und mehr zu vervollkommnen. Ich ertaube mir, Ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen
und wage zu hoffen, daß Sie nicht bedauern werden, sie mir gewährt zu haben. Folgende Studien
werde ich dort eingehend betreiben: Ich werde viel zeichnen, 1. nach der Antike, um die schönen
Formen zu begreifen; der Anatomie, um ihre Genauigkeit kennen zu lernen; nach der Natur, um
ihre Feinheiten zu erfassen und all das, wenn ich es vermag, in meiner Zeichnung zu vereinen; 2. werde
ich dann eines mit dem andern vergleichen, sei es, um die Beziehungen der Dinge untereinander
kennen zu lernen oder auch ihre Mängel. Außerdem werde ich oft die großen Meister befragen,
Rubens, Titian und Raphael, die einen der Anmut und Geschmeidigkeit ihrer Zeichnung wegen, der
Feinheit und Erhabenheit ihres Ausdrucks; die andern wegen der hinreißenden Kunst ihres Kolorits,
der schönen Ordnung ihrer Komposition, dem Zauber des clair-obscur. Endlich werde ich versuchen,
aus alledem Nutzen zu ziehen. Ufas meinen Sie dazu, Monsieur? Ich brenne darauf, diese Dinge
auszuführen.“
Diefer Brief wurde gegen 1780 gefchrieberi. Prud’hon war damals 22 Jahre alt.
Man ift erftaunt, [oviel Feuer mit fold)er Vernunft gepaart zu finden, [oviel Eleganz,
die [einen Ehrgeiz verrät, mehr noch, folche Klarheit, die die Abßchen diefes Auto-
didakten anzeigt, folche Erkenntnis deffen, was ihm nottut, [oviel natürliches Empßnden
für die großen und fchönen Dinge, die er noch gar nicht kennt.
Das gleiche Glück kennzeichnet [eine Reife nach Italien. Italien trägt empor und rettet,
wie das Meer, nur die Starken, die von der Natur reich Begabten. GUie in Paris, zu
[einer 3eit (und noch heut), fand er in Rom ein Cafe, wo junge, klugredende Maler

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