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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Ehmcke, F. H.: Die Kunstgewerbeschule
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0847

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Lehre. Die Indußrie fängt an, pch deffen bewußt zu werden, daß ihr Erfolg bisher auf dem
Boden alter handwerklicher Überlieferung beruhte und daß fie, wenn ihre Leiftungsfähigkeit und
Überlegenheit im Klettbewerb dem Ausland gegenüber erhalten bleiben foll, für die Schulung
des Nachwuchfes forgen muß. Sie gliedert, wo fie es kann, ihren Betrieben Verfuchs- und
Lehrwerkftätten an. Diefe Bewegung ift jedoch erft im Klerden, fie wird pch nur in ganz großen
Betrieben durchführen laffen, kann alfo, fo gefund und zukunftsvoll fie ift, auch nicht zahlenmäßig
in Rechnung gefegt werden. Die immer vorhandene und vorausßchtlich bleibende Lücke mußten
und müffen die Kunftgewerbefchulen und als ünterbau derfelben die Fach-Gewerbe- und
Fjandwerkerfchulen ausfüllen. Sie haben dies bis jegt fchlecht und recht getan.
3weck diefer 3eilen ift es, klarzulegen, welche Bedeutung dem Eingriff beizumeffen ift, der kürz-
lich in den Entwicklungsgang der Münchner Kunftgewerbefchulc getan wurde. Es erfcheint dazu
nötig, etwas weiter auszuholen, und das, was anderwärts gefchah, zum Vergleich herbeizuziehen.
In zeitlicher Folge betrachtet, iß feftzuftellen, daß Klien Fpnpchtlich künftlerifcher Bedeutung in
der modernen Schulentwicklung vorangegangen ift. Seine Kunftgewerbefchule unter Rollers
Leitung mit Lehrkräften wie Jof. Fjoffmann, Kolo Mofer, Rudolf von Larifch, fand im
damaligen Minifterium einpchtige Förderung. Die erfolgreiche junge Bewegung konnte pch mit
Hilfe kapitalkräftiger Privatleute in den Kliener Klerkftätten faft gleichzeitig die Stelle fchaffen, in
der das verfuchsmäßig Gewonnene wirtfchaftlicg ausgenugt wurde. Diefen ömftänden verdankt Klien
feinen Riefenvorfprung, den es auch heute noch über den politifchen und wirtfdbaftlichen Verfall
Ößerreichs hinweg behauptet. Nach Kliens Vorangehen folgte unter Muthefius’ Ägide die Re-
organifation der preußifchen Kunßgewerbefchulen. Ängefangen mit Düffeldorf, wo Peter
Behrens diefe Hufgabe mit großer Energie und peinlichem Erfolg durchführte. Klie fein Klerk
von einer ftädtifchen Bürokratie zerftört wurde, die fiel) von unverantwortlichen Kreifen
dazu verhegen ließ, darüber kann man in meiner „Krifis der Kunft“ ein Mehreres nachlefen. Hugen-
blicklicher Eatbeßand iß, daß diefe fogenannte Kunßßadt einen Klafferkopf von Hkademie befigt,
der für die zeitnotwendigen Hufgaben keine Organe hat, und gewerbliche Fachfchulen, die diefen
Hufgaben nur unvollkommen dienen. Die Stadt, die nach der törichten Befeitigung ihrer Kunft-
gewerbefchule doch dunkel zu fühlen beginnt, daß damit eine gewaltige Lücke in ihr Kunft-
erziehungswefen geriffen iß, will diefe jegt durch denHusbau ihrer gewerblichen Fachfchulen aus-
zufüllen trachten. Im beßen Falle kann fie dafür den geeigneten Mann und diefer die entfprechen-
den Mitarbeiter pnden. Dann mag es ihnen vielleicht nach Verlauf eines Jahrzehnts vergönnt
fein, ihre Schule auf die Ebene zu bringen, auf der die aufgehobene Hnftalt am Jahrhundertanfang
unter Peter Behrens fchon geftanden hat. (Vergleiche München!)
In der Entwicklungsgefchichte der Kunftgewerbefchulen folgt zeitlich Berlin, wo Bruno Paul die
Reorganifation vollzog und infolge geflickten Handelns jegt auch damit betraut werden füllte,
die dortige Hkademie umzugeßalten und mit feiner Schule zu verfchmelzen. Die einzige Mög-
lichkeit, aus dem vorhandenen 3uftand das Beße zu machen. Allerdings ift auch in Berlin das
legte Klort noch nicht gefallen. Leipzig hat fchon unter Seliger feine alte Kunßakademie
in eine Hkademie für die Graphifchen Künfte und Buchgewerbe umgewandelt und diefe Hufgabe
hat Eiemann zeitgemäß fortgeführt. So beßeht alfo dort eine „Hkademie“, an der — horribile
dictu — Seger, Photographen und Graveure Lehrer pnd und ausgebildet werden. Diefe Hnftalt
ift aber ganz folgerichtig die Fjochßhule für das Buchgewerbe, und es ift für den gefunden Men-
fchenverftand nicht einzufehen, warum an fo geheiligter Stätte nicht auch eine andere Handfertig-
keit gelehrt werden dürfte, als die des Pinfelns mit Ölfarben und des Knetens mit Eon. (Eng-
land hat am South Kensington Museum in London fein Royal College of Hrt, d. h- die Fjochßhule
für Kunft; da dort im Gegenfag zur Royal Hcademie nur applied art geübt wird, alfo die Hoch"
ßhule für angewandte Kunft.) Hamburg hat vor dem Krieg mit großen Mitteln einen mufter-
gültig ausgeftatteten Riefenbau für feine Kunftgewerbefchule aufgeführt und bewährte Lehrkräfte
dorthin berufen, vor allem hat die fcheinbar gewagte Verpßanzung Kliener Kunßgefinnung auf die
ganz andersartige Natur der norddeutßhen Begabung befruchtend gewirkt. Ebenfo beßgt Stutt-
gart eine vor dem Kriege unter Hufwand reicher Staatsmittel errichtete Kunftgewerbefchule unter
Leitung Pankoks, in fchöner Lage außerhalb des Stadtkerns, die mit vorzüglich eingerichteten
Lehrwerkftätten für Schreinerei, Metallarbeiten, Keramik, Buchdruck ufw. ausgeftattet ift und an-
fänglich auch die Hkademie in pch aufnehmen follte. In Karlsruhe pnd Hkademie und Kunft-
gewerbefchule in der ftaatlichen Kunßßhule vereinigt. 3üricl) bepgt eine Gewerbeßhule, die aus-
gezeichnet organipert, freilich nur einen Unterbau ohne Krönung darftellt, fo daß die künßlerifche
Jugend der Schweiz bei dem Fehlen auch jeder anderweitigen KunfthochfcFmle im eigenen Lande
gezwungen ift, einem Ver sacrum gleich, die Vollendung ihres Studiums in DeutfcFpand zu fuchen
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Entwicklung
und
Beifpiele
 
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