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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Grohmann, Will; Kandinsky, Wassily [Gefeierte Pers.]: Wassily Kandinsky
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0919

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GQaffily Kandinfky

Von WILL GROHMANN / Mit
zwölf Abbildungen auf sechs Tafeln

Je älter Kandinfky wird — und er nähert fiel) dem fed)zigften Lebensjahr — um [o
problematifcßer wird feine Kunft. Seit etwa fünfzehn Jahren beschäftigt er die
Öffentlichkeit der Alten und der Neuen (Heit, zuweilen will es fd)einen, als liege er
den ganz anders organifierten Kunftfreunden jenfeits des Ozeans mel)r als uns (vgl.
(Hestern Art by Miss Katharine S. Dreier, New York 1923). Bis 1910 ift er einer der
vielen, die zeiigenöffifche Kunft machen, mit feiner Kiendung zur Äbftraktion im Jahre
1911 wird er eine der umftrittenften Perfönlid)keiten.
Die Jahre der ftärkften Spannung find die von 1908—1911, in denen er den Schritt
zur gegenftandslofen Malerei vollzieht. Die zehn Jahre vorher (Kandinfky kommt näm-
lich erft dreißigjährig nach erfolgreichen juriftifchen Studien in Moskau zur Malerei)
erarbeitet er fid) in München den Änfd)luß an die europäifche Kunft. Die erften Ge-
mälde find Verfuche, die Anregungen Rußlands in den malerifchen Stil feiner 3ßit zu
überfeinen. Sie bleiben iiluftrativ, zum Ceil dekorativ, feßen oft aus wie vergrößerte
Entwürfe für Märchenbücher oder für Cßeaterinfzenierungen. Im Farbenauftrag find
fie 1903 bereits ftilifiert, in der Kompofition noch naiv, dem äußeren Vorgang folgend. Von
1907 an überwiegt bei Kandinfky der Klille zum Geftalten und nähert ißn naeßimpreffio-
niftifeßen Suchern wie Otßon Frieß oder, in feiner näßeren Umgebung, Gabriele Munter.
Es find außerordentlich gekonnte Umformungen dabei, vorwiegend Landfcßaften aus den
bayrifeßen Bergen, die früher gelegentlich in den deutfeßen Ausheilungen auftaueßten
und die heute leider faft vergeffen find. Farbe und Form find fo beßerrfeßend, daß
das Landfcßaftlich-Gegenftändlicße vom Artiftifcßen aufgefogen zu werden beginnt. So
eine Dorfkircße wäcßft in die Berge hinein, das Fjaus in die Bäume, der Raum ift aus-
gelöfcßt, das Oben und Unten wird unficßer, eine vorwiegend in dunklen Cönen fid)
auslebende Farbenglut rückt die nod) vorhandene Klirklicßkeit in die Sphäre des Un-
wirklichen. Ein Bild wie die „Kompofition 2“ (1910) löft bereits das Gegenftändlicße
zugunften einer freien Geftaltung fo weit auf, daß man hier von einem erften Verfucß
abfoluter Malerei fpreeßen kann. Immerhin, man erkennt bei genauem FJinfeßen nocß
Cerrain, Bäume, Menfcßen (deutlicher auf dem gleichzeitigen Fjolzfcßnitt, f. „Klänge“,
Piper-Verlag, 1914), der endgültige Eindruck aber lebt feßon oßne fie. 1911 entfteßt
eines feiner bekannteren und berüßmteften Bilder, „Lyrifcßes“, als „Reiter“ wiederholt
reproduziert. Ein letzter genialer Verfucß, mit einem auf das äußerfte reduzierten Ob-
jekt einen von der Klirklicßkeit möglicßft ungetrübten Kunftwert zu erreichen, die fein
Freund Marc bezieht Kandinfky den Klang des äußeren Bildes mit ein, aber die ein-
zelnen Formen füßren feßon ein feßr felbftändiges Leben. Für Kandinfky ift ein derk
wie diefes, wo die Anregung von außen fühlbar ift, eine Impreffion; ein derk, das
lediglich einer inneren Bewegtheit die Entfteßung verdankt, eine Improvifation; eine
bis zum lebten durchgearbeitete Improvifation, eine Kompofition. Die Impreffionen
treten von 1911 an völlig zurück, ein paar Jaßre fpäter auch die Improvifationen. Als
„Impreffion 2U ift das Bild „Moskau“ (1911) bezeichnet. Erkennbar find nocß Ge-
bäude, Kuppeln, aber nicht alle Formen erlauben eine Realdeutung, viele leben nur
von den farbigen und aufteilenden Beziehungen; man verliert langfam den Boden
unter den Füßen.
Das Problem Kandinfky beginnt mit feiner Abwendung von der dirklicßkeit. Diefer
Vorgang ift einer der umftrittenften in der Kunftentwicklung des 20. Jaßrßunderts, und
wie bei Picaffos doppelter dandlung knüpfen fid) böswillige und auf der anderen
Seite allzu eifrige Kommentare an ißn. Die einen feßen darin eine künftlerifcße und
moralifcße Anarchie, die anderen den Anbruch einer neuen Epocße oder den Beginn
der Kunft überhaupt. Daß Kandinfky Ruffe ift, feßeint mir nießt entfeßeidend zu fein,
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Der Cicerone, XVI. Jagrg., geft 19

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