Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

DOI Artikel:
Kállai, Ernő: El Lissitzky
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1090

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
El Liffi^ky

Von ERNST KALL Al / Mit
acht Abbildungen auf vier Tafeln

Die bedeutendfte ruffifcße Ausftellung des Jahres 1919 war die der Gegenftands-
lofen und Suprematiften. Fjier war das Fazit der Entwicklung der Malerei
als Farbenausdruck gezogen und l)ier batte man den letzten Punkt auf das i ge-
fegt. Malewitfcß [teilte (Heißes auf (Heißem aus; Rodfcßenko Schwarzes auf Schwar-
zem. Hdaltzowa, Popowa, Kljun loderten in allen Farben. Fjier fand das Bild als
foicßes feine Vollendung. Fjier wurde in der Kompofition eine neue Symmetrie ge-
boren. In der Seßnfucßt nach der Materie hüllte man [ich in die Flamme des abftrak-
teften Idealismus und vernichtete alles Stoffliche in [ich, um rein zu werden für die
Empfängnis des neuen Gegenftandes. Fjier wurde mit der Kompofition abgefchloffen,
um demnächft zur Konftruktion überzugehen1.
Liffifzky unternahm diefen Schritt und fcßuf [eine Proun benannten Konftruktionen
auf Bildtafeln, als Reliefs, als freiftehende 3wcckgebilde. Die Sehnfucht nach Gegen-
[tänden, die mitorganifierende Heile des realen Lebens werden füllten, drängte zur ftreng
fachlicher, genauen, [truktiven Geftaltung, zu komplexen Formen, die in lückenlofer ob-
jektiven Abgefchloffenheit vor den Befcßauer treten konnten. Nicht mit dem (Hohl-
behagen finnlich-nervöfer oder gemütsvoller Erlebniffe, [ondern mit der hßd[ichtigen,
energifchen, planvollen Aktivität des (Hillens zur grenzenlofen Expanfion und Raum-
beherrfchung. Der Suprematift Malewitfd) fcßafft alle Fjinderniffe räumlicher Entfaltung
hinweg. Seine Ekftafe der Befreiung zerfplitterte [ich zu einem wirbelnden Ganz von
kleinen und kleinften Einheiten der planimetrifchen Form und der reinen Farbe. Liffifzky
rafft die Splitter zufammen und unterwirft [ie der zwingenden Notwendigkeit [einer
gegenftändlichen Phantafie. Er verliert [ich nicht in der Illufion des grenzenlofen Raumes,
die von der glatten Bildfläche geboten wird, [ondern überfpannt, überfcßwebt, durch-
quert diefen Raum von der vehementen Dynamik [einer Konftruktionen getragen.
Eine fanatifche Befeffenheit von den (Hundern moderner Hecßnik erfüllt diefe ge-
wagten Formkombinationen und Lagen. Die Höne nüchternftes (Heiß, Grau und Schwarz.
Schneidende, ftaßlbarte Präzifion ihrer Fakturverarbeitung und lineare Begrenzung zeigt,
wie eindringlich fie erlebt find. Die gefpannte Äufmerkfamkeit, glühende Konzentriert-
heit eines Rennfahrers, Kennfliegers, läßt hart auf hart durchgearbeitete Flächen in ein
fcßwindelndes Syftem von Diagonalen und weit ausladenden oder plötzlichen Kurven
dahinjagen. Hnd wie ein Signal fiegreicher Überwindung, tollfter Bewegungsfreude
leuchtet immer wieder das helle Rot eines vereinzelten Quadrats oder Dreiecks über
grenzenlofen Rennbahnen, Flugplätzen und Baufeldern des vernünftigen und praktifchen
(Hillens.
jedoch: Fanatismus der Sachlichkeit, Pßantaftik des Realen, Hnbegrenztheit des exakt
Beftimmten — tyaben wir es nicht mit einer verkappten Romantik zu tun? (Hohl ift
es [o. Schafft Gegenftände! ruft Liffltjky und malt komplexe Formgebilde, die nach
Gegenftänden ausfehen, aber ohne weiteres als Fiktionen zu erkennen find. 3war ver-
geht Lifßifzky unter den programmatifch geforderten Gegenftänden [eines Kunftbekennt-
niffes alle Arten men[d)licher Erzeugniffe, alfo auch Gemälde und Dichtungen. Aber
falls er die heute aktuelle, befondere Art von Gegenftänden nicht mit den Ölbildern
der Mufeen und den Denkmälern aller Generäle in einen Hopf werfen will, darf er das
Gegenftändliche der neuen Kunft eben nicht in einer lediglich neu verkleideten Forma-
liftik erblicken. Er muß dem Begriff Gegenftand die konkrete, reale, nützliche Bedeu-
tung geben, durch die cr von der Kategorie äftßetifcßer Genußmittel unterfdjieden wird.
Die klare Konfequenz einer Forderung folcßer Gegenftände hätte zu bedeuten: Schafft
wirkliche Gebraucßsgegenftände, Stühle, Käufer und Mafcßinen. Aber Lifßfzky will

1 üblen in der ruffifdjen 3eitfdjrift Gegenftand; Fjeft 1—2. Berlin 1922.

1058
 
Annotationen