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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Martinie, Henri: Puvis de Chavannes
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0037

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„Eintracht“ und „Krieg“ von 1861, „Arbeit“ und „Ruhe“ von 1863, heute alle
vier in Amiens, zeigen eine größere Einfachheit der Komposition, eine größere
Sicherheit in der Modellierung, eine besser angepaßte Technik. Der „Herbst“
1864 und der „Springbrunnen“ 1868, echte, in die Wandmalerei übertragene
Idyllen, errangen einen großen Erfolg. Der Stil folgt ungezwungen der klas-
sischen Tradition.
„Ich habe zusammengezogen, aufgehäuft, hineingepreßt... ich wollte soviel
als möglich in wenigen Worten sagen,“ so äußerte sich der Künstler in bezug
auf diese zwei Werke.
Zwischen diesen beiden Gemälden schuf Puvis de Chavannes im Auftrag
der Stadt Amiens für das dortige Museum „Ave Picardia nutrix“. Das ist die
erste seiner unsterblichen Taten. Die Schönheit der Konzeption verbindet sich
mit der Sicherheit der Ausführung; das Auge genießt entzückt diese volle
Harmonie, und der Geist erfreut sich an der klaren Bestimmtheit. Der Künstler
stellt in diesem Gemälde die erste Familie dar in einer Welt, die er schafft, in
ausdrucksvollen Formen von heiterstem Lichte übergossen. Ein Traum voller
Größe und Adel hat Gestalt angenommen und beruhigt unsere friedlosen See-
len durch seine leben- und schönheiterfüllte Eigenart.
Jetzt im Besitz all seines Könnens, schuf er neue Werke mit den hohen
Vorzügen der „Ave Picardia nutrix“, deren hochdramatische Handlung auf
der Fläche großzügig entfaltet, geordnet durch einen besonderen Sinn für Klar-
heit und Plastik allen Forderungen der monumentalen Wandmalerei genügen
muß. Es bleiben nur zu nennen:
Im Jahre 186g „Die griechische Kolonie Massalia“ und „Marseille, die Pforte
des Orients“. Die Kritik, die durch „Ave Picardia nutrix“ fast bezwungen
worden war, ließ den Künstler den Moment der Schwäche, den er herbeige-
führt hatte, teuer bezahlen. Sie brach mit unerhörter Heftigkeit los und warf
ihm gehässig vor, daß er weder zeichnen noch malen könnte. Seine „Ent-
hauptung des heiligen Johannes“ 1870 verursachte einen Skandal.
„Karl Märtel“ und „Die heilige Radegonda“, für das Rathaus von Poitiers
(1874—1875) geschaffen, brachten eine Beruhigung. Die „Heilige Genoveva“ für
das Pantheon 1876 bedeutet endlich den Sieg, und so bezwang die Heilige
noch einmal durch die Gnade ihres Glaubens die Barbaren. Das Publikum
bewundert, die Kritik beugt sich — aber es ist nur ein Waffenstillstand. Die
Feindseligkeit erwacht wieder beim „Verlorenen Sohn“, den „Mädchen am
Meeresstrand“ 187g und dem „Armen Fischer“, Staffeleibildern, die Puvis zwi-
schen seinen großen Wandgemälden schuf, und die, wie man zugeben muß,
nicht auf seiner Höhe stehen, wenn auch über der Produktion der Zeit-
genossen.
Das „Ludus pro Patria“ im Jahre 1882 (der Karton wurde 1880 ausgestellt)
ist eine vornehme Antwort auf die Beleidigungen und Dummheiten der Kritik.
Niemals vereinigten sich die Eigenschaften, die der antiken Kunst die Vor-
herrschaft sichern: Leben, Stil, Schönheit, so glücklich in der Wandmalerei,
wie in diesem Werke von Puvis de Chavannes, welches endlich die Stunde
seines anerkannten Sieges bedeutete.
Der „heilige Wald der Musen“, die „Antike Vision“ und die „Christliche In-
spiration (1884—1886) für das Lyoner Museum, stellten den Frieden mit den
letzten Widersachern her. Puvis ist nun der Meister, der verschwenderisch
einer fiebrigen Generation Freude spendet. Seine Gemälde für die Sorbonne
(1887), für das keramische Museum von Rouen, „Zwischen Kunst und Natur“
(i8go—gi); für das Pariser Rathaus „Sommer“ (i8gi), „Winter“ (i8g2), „Victor
Hugo“ (i8gs—g4), „Die Musen, die dem Boten des Lichtes zujubeln“, für die

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