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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 3
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L'Hote, André: Georges Rouault
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0156

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Georges Rouault

Von ANDRE L’HOTE / Mit
vier Abbildungen auf zwei Tafeln

Es war gegen Ende des Jahres 1905, als mir die Offenbarung des großen
Künstlers Rouault zuteil wurde. Er stellte damals im Herbstsalon aus —
symbolische Richter mit dem Stigma derselben Verbrechen auf dem Antlitz,
die sie bei anderen zu verdammen berufen waren, und Dirnen, gleichsam ver-
wundet von blauer und roter Schminke, die wie eine trübe Flut Beleidigungen
und niedrige Verheißungen ausströmten. Seine feingefühlte Zeichnung, die
Lyrik seiner romantischen Farbgebung, die Wirksamkeit seines Helldunkels
beeindruckten stark meine junge Empfänglichkeit und enthüllten mir plötzlich
die Welt der reinen Malerei, wo nicht die liebenswürdige Darstellung der
Gegenstände gilt, sondern die Vorzüge einer in hohem Maße plastischen Ein-
stellung. Ich begriff vor diesen Bildern in stumpfen Farbentönen, wo ein
metallisches Blau, ein Schwarz und ein Rot richtig und selbstverständlich in-
einander klingen, daß die Malerei die Kunst ist, die aus abstrakten Farbtönen
und aus Formen, die nichts Bestimmtes aussagen wollen, Leben schaffen kann.
Ich war so kühn, den Maler zu besuchen, ihm auf seine Aufforderung hin
meine Studien zu bringen und um seinen Rat zu bitten. Meine Bewunderung
konnte durch die persönliche Berührung nur größer werden. Von wieviel
Malern kann man das sagen? Ich werde den nicht nennen — er war zu jener
Zeit bereits berühmt —, den ich eines Tages fragte, ob er diese ergreifende
Malerei kenne. Seine Antwort war klar. Man spricht nicht von Rouault. So
wurde ich zu gleicher Zeit in die Geheimnisse der Kunst und in die eigentüm-
lichen Sitten der Künstler eingeweiht.
Es ist wahr — man spricht nicht von Rouault; er stellt nicht mehr aus, Und
wer kann sich rühmen, ihn je bei einer Soiree oder bei irgendeiner anderen
festlichen Veranstaltung getroffen zu haben?
Wenn ich es wagte, die Künstler moralisch einzuordnen, so würde ich die
meisten zu den Laien zählen, die den Werken und der Eitelkeit der Welt
dienen, und nur einige auserwählte Persönlichkeiten würde ich die „Geweih-
ten“ nennen, die sich einzig und allein einem strengen, inneren Dienst hin-
geben. Rouault würde zu diesen gehören, ebenso Maria Blanchard. Sie
stehen neben Cezanne, dem großen Einsamen von Aix. Die Malerei ist für
diese Art Künstler eine gestrenge Herrin. Man kennt viele Anekdoten, die
zeigen, wie Cezanne seine dringendsten Pflichten bürgerlicher und familiärer
Art versäumte, um sich den Forderungen seiner Leidenschaft nicht zu ent-
ziehen. Seit einigen Jahren ist Rouault ebenfalls von einem erschreckenden
Arbeitshunger ergriffen, von einem wahrhaft verzehrenden Wunsch, seine
Technik immer mehr zu beherrschen. Vergebens sucht man seiner habhaft zu
werden. Seine Adresse ist selbst seinen besten Freunden unbekannt, die nur
die Möglichkeit haben, ihn am Montag aufzusuchen, wenn er im Museum
Gustave Moreau, wo er Konservator ist, empfangen muß. Unmöglich seine
Bilder zu sehen! Er überarbeitet sie unermüdlich, sucht eine immer subtilere
Wiedergabe und bringt seinen Stoff zu einem äußersten Grade der Verfeine-
rung. Dazwischen radiert er für einige „Ubu“ von Ambroise Vollard Platten
in glänzender Technik, wo gutmütige Ungeheuer aus dem Schatten auftauchen,
wie auf den hohen mittelalterlichen Kapitälen, wo sich die volkstümliche
Phantasie in den beißendsten und in den unschuldigsten Einfällen ergeht.
Rouault erscheint mir ganz wie ein romanischer und gotischer Künstler, der
Schöpfer einer ganzen Schar von Ungeheuern, Hexen, Gespenstern, von Lar-

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