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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 3
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0174

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Ausstellungen

geblieben waren. Es ist heute so, daß die
Öffentlichkeit ziemlich impulsiv und ent-
schieden für den frühen oder den späten
Kokoschka Stellung nimmt, an dem mitt-
leren (1913—16) etwas kühler vorbeigeht.
Es ist auch durchaus nicht leicht, den
Weg von der bekannten Montesquieu-Ro-
han bis zu den Dresdner biblischen Ge-
mälden als eine organische Entwicklung
zu sehen, die nicht anders sein kann.
Man hat den Eindruck, als ob die Malerei
Kokoschkas eine Begleiterscheinung sei-
ner allgemeinen Aktivität sei, als ob er
sich für diesen Weg der Mitteilung ent-
schlossen hätte, der Mensch aber den Ma-
ler ziemlich sicher in der Hand hätte.
Sind die Anfänge überschattet von einer
Magie der Seelenanalyse (selbst die Land-
schaft zerlegt sich in Nervenbündel), so
steht über den späten Arbeiten der Wille
eines Propheten, der für neue Tempel
Wände malen möchte, die auch noch in
einem lichtarmen Raume von intensivster
Leuchtkraft sind. Die Werke der mitt-
leren Zeit (Professor Moll 1913) führen
aus der Chemie seiner Seelenforschung in
die Praxis des Malens mit breitem Pinsel
und einer Farbe, die fast immer nach Grau
orientiert ist, als ob er sich auf dem
neuen Boden erst vorsichtig zurechtfinden
müßte. Zwischen diesen Versuchen und
den frühen Porträts liegen noch eine An-
zahl Kompositionsversuche wie „Heim-
suchung“, die aus dem zeichnerischen
Stil in eine Vortragsart hinüberführen, wo
alles Konkrete von scheinbar zufälligen,
phosphoreszierenden Farbflecken lebt. So-
viel dürfte aber auf Grund der Gesamt-
schau heute schon klar sein, daß Ko-
koschka mit jeder der verschiedenen Aus-
strahlungen seines Wesens einen bedeut-
samen Beitrag zur Kunstentwicklung der
letzten Jahre darstellt und die Erkenntnis
des Phänomens Kokoschka heute noch zu
den Aufgaben gehört.
Aus der ersten Zeit sind alle wesent-
lichen Porträts da, der Trancespieler (im
Besitze des Breslauer Museums), die Her-
zogin von Montesquieu-Rohan, das erste
Bild, das durch Osthaus in ein öffent-
liches Museum kam. Heute wirkt dieses
Bildnis wie eine alte chinesische Malerei,
mit feinem Pinsel und ganz dünnen Far-
ben ist das zweite Gesicht dieser Frau
aufgezeichnet, das die Grenzen der Bild-
nismalerei um ein großes Stück erweitert.
Der Architekt Loos ist da, Frau Bessi
Loos, Janikowski und der von innen ver-
brennende Peter Altenberg, Else Kupfer,
Paul Scherbart (in dieser Fassung noch
über die bekannte Federzeichnung hinaus-

gehend) u. a. Von den Kompositionen:
„Die Sposalizo“, „Ritter, Tod und Engel“,
„Ruhe auf der Flucht“, „Verkündigung“,
„Heimsuchung“. Sie gehören farbig und
ausdrucksmäßig ebenso eng zusammen
wie die 15 Bilder aus der Dresdner Zeit.
Überall ist versucht, das zur Atmosphäre
des Vorgangs Gehörige einzubeziehen,
ohne mitteilsam oder illusionistisch zu
werden. Das Enthüllende, Aufdeckende
der Porträts ist in die Beziehung zwischen
den Gestalten verlegt, die ebenso jen-
seitig sind wie ihre Farben.
Mit der „Blinden Mutter“ von igi3 be-
ginnt eine Zeit der formalen Beruhigung.
Es scheint, als ob Kokoschka nach reich-
lichen Experimenten das Bedürfnis nach
Klarheit und Verfestigung der ihm we-
sentlichen Tatbestände hätte. Die blinde
Mutter ist von einer ganz neuen Wirklich-
keit, verwandt der des Selbstporträts (Ga-
lerie Fischer) und des gewaltigen Doppel-
porträts 1914 (Slg. Garvens). Die Gruppen-
bilder der mittleren Zeit fehlen, dafüi' sind
da die Bildnisse Moll, Dirsztay, von We-
bern, Adler, ein Selbstporträt und das Bild-
nis auf grünlichem Grund.
Mit der „Jagd“ von 1918, die die Bremer
Kunsthalle zur Verfügung gestellt hat,
setzt die Periode stärkster Farbigkeit ein,
die mit 15 Bildern einen fast lückenlosen
Überblick über sein Schaffen der letzten
Jahre gibt. Der Eindruck des Dresdner
Saals ist farbig nicht zu überbieten. Selbst
Nolde erscheint in der Erinnerung blaß da-
neben. Die ersten Bilder dieser Jahre erreg-
ten, als sie bekannt wurden,peinlichesEnt-
setzen. Man konnte gar nichts mit ihnen
anfangen. Heute schon ist das Lager der
Kokoschka-Freunde gespalten, und recht
ansehnliche unter ihnen halten zu den
späten Arbeiten. Die drei von der Dresdner
Gemäldegalerie erworbenen Bilder sind
übrigens im Museum geblieben, darunter
die „Musik“. Das wichtigste dieser letzten
Werke scheint mir der „Maler“ zu blei-
ben (Kokoschka malend zwischen zwei
Frauen). Mit unaufhörlichem Fleiß hat
Kokoschka über ein Jahr daran gearbeitet
und alle Möglichkeiten der Bildtektonik
dabei durchversucht. Von der ursprüng-
lichen Konzeption ist so gut wie gar
nichts geblieben; das Resultat aber ist
ein Stück Wandmalerei auf Leinen, die
ebenso wie das große dreifigurige Bild
„Jacob, Rahel und Lea“ den Rahmen als
lästig empfinden läßt. Diese Bilder haben
einen Aufbau in der Vertikale und Hori-
zontale, der eine Tiefenwirkung nicht auf-
kommen läßt und trotzdem durch ein son-
derbares System von Überschneidungen
 
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