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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 4
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Stettiner, Richard: Ein Kreussener Krug als Palimpsest
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0208

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Schreibung an die Seilersche Werkstatt schwerlich zu bezweifeln sein: Die
Seilers als die Nachfahren des Georg Vest d. Ä. im Werkstattbetriebe können
doch wohl nur als die Besitzer der vergessenen Form angenommen werden.
Diese Annahme wird noch gestärkt, wenn wir im Verlauf dieser Unter-
suchung sehen werden, daß der Vorgang, das Herauskramen einer uralten,
längst vergessenen Form, sich in der Seilerschen Werkstatt für dieselbe Zeit,
um 1680, noch einmal nachweisen läßt.
* *
Ein Hauptstück der Kreussener Spätzeit um 1680, ein bauchiger Krug im
Breslauer Kunstgewerbemuseum (Nr. 8647) von ähnlicher Form wie die
Abundantia-Krüge, mit reichem Reliefschmuck und reicher Bemalung, gibt
Anlaß zu dieser Studie (Abb. 4). Um den oberen Rand des Kruges zieht sich
ein für die Kreussener Spätzeit charakteristisches Ornament, eine Linien-
ranke, in deren Rollungen stilisierte knollige Früchte eingefügt sind. Auf dem
Henkel das übliche plastische Maskenornament. An dem stark gewölbten
Körper dreimal wiederholt ein viereckiges Relief, mit kräftigen bunten Farben
bemalt; in eine ornamentale Umrahmung ist in einem oberen größeren Felde
ein Topf mit nelkenartigen Blumen eingefügt, in einem kleinen unteren Felde
eine in Schwarz auf weißem Grund gemalte Inschrift. Diese lautet das eine
Mal: ,,Liebe Die Jungen Vnd Ehr Die Alten Kanstu Das Recht Bey Allen Er-
halten“, das zweite Mal: „Trinck Vnd Is Gott Nicht Vergis“, das dritte Mal:
„Trinck Mit Freyden Vnd Halt Dich Bescheyden“. Zwischen diesen drei vier-
eckigen Feldern zweimal ein trennendes Relief Ornament mit einem Engels-
kopf in der Mitte, dessen in die Länge gezogenen, nach oben spitz zusammen-
laufende Flügel palmettenähnlich stilisiert sind, und an den sich unten Roll-
werkornamente mit einem an einem Tuch hängenden Fruchtbüschel schließen.
Diese beiden Reliefs, unscharf ausgeformt, dienen als Grundlage für eine
kräftige, trefflich ausgeführte Malerei, Blätter und Früchte, die von dem Pla-
stischen ausgehend auch einen großen Teil des braunen Grundes deckt.
Unsere Nebeneinanderstellung des plastischen Spätrenaissanceornaments aus
der Zeit zwischen 1610 und 1620, nach einer Ausformung der Originalmodel
im Hamburgischen Museum aus der Seilerschen Sammlung (1880. 154), und
des bemalten Ornaments an dem Breslauer Kruge (Abb. 5 und 6) zeigt, wie
hier — entsprechend dem oben Dargelegten — zwei durch dreiviertel Jahr-
hundert voneinander getrennte Stilschichten übereinander gelagert sind.
Am Fuße des Kruges in weißer Farbe: „ANNO DOMINI 1680“.

Ich kehre zurück zu dem viereckigen Ornamentstück mit dem Blumentopf.
Die Umrahmung aus einfachem Roll- und Blattwerk erweist sich als überein-
stimmend mit denen des Luther- und des Melanchthonrelief, die früher in
diesen Heften behandelt wurden (Bd. XV, S. 1074ff.; vgl. bes. die Abbildung
S. 1079). Nur daß in den oberen Ecken, wo sich bei dem Lutherrelief Wappen,
bei dem Melanchthonrelief Ranken befinden, hier Engelsköpfe in Seiten-
ansicht angebracht sind. Wenn wir nun stärker zuschauen, so entdecken wir,
daß die dick aufgetragenen Farben plastische Inschriften verbergen, und all-
mählich gelingt es, festzustellen, wie wirklich die alte Form aussah, deren Aus-
druck in seinem Inschriftenteil absichtlich durch die Farbschicht und darüber
gesetzte andere, gemalte Inschriften unkenntlich gemacht wurde (Abb. 7).
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