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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 6
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Sprinz, Heiner: Ein neuer Hans Wydyz der Ältere
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0348

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Ein neuer Hans Wydyz der Ältere
Mit fünf Abbildungen auf zwei Tafeln Von HEINER SPRINZ

Die fürstlich hohenzollerische Sammlung
in Sigmaringen1 besitzt eine kleine, nur
17 cm hohe Statuette aus Buchsbaumholz
(Abb. 1 und 2), die ein altes nacktes Weib
darstellt. Die Oberfläche des Körpers ist
glatt, stellenweise wie poliert. Der tief-
dunkle Glanz des Holzes bildet einen äußerst
reizvollen Gegensatz zu dem gedämpften
Weiß des altbemalten Kopfschleiers, den
die bleckende Alte über die Schulter zieht
und dabei versucht, ihre häßlichste Blöße
zu decken. Es ist keinesfalls ganz klar, ob
diese prächtig geschnitzte Statuette das
Specimen eines das Verjüngungsbad besu-
chenden alten Weibes sein soll, oder ein
Teil einer Allegorie der Vergänglichkeit —
vanitas vanitatum —, die man gewöhnlich
in mehrteiligen Gruppen zu versinnbildli-
chen liebte. Gegen beide Bedeutungen be-
stehen Bedenken inhaltlicher und formaler
Art. Die Verkörperung nämlich des Einen
oder des Andern verlangte entschiedener
die Erinnerung an bekannte Analogien.
Hingegen deckt sich eine gewisse Holprig-
keit des Schnitzmessers, die an einigen dra-
stischen Requisiten der Vergänglichkeit
fast etwas zu laut vordrängt, mit dem derb-
frischen Reiz der Idee, der sich aus der
Mischung kecker Sottisen mit dem subtilen
und anmutigen Linienspiel der Glieder er-
gibt. Es handelt sich, wie es scheint, eher
um eine skizzenhafte und mehr heitere Va-
riation eines der erwähnten Sinnbilder;
vielleicht ist ein altes Frauenzimmer ge-
dacht, deren Not die mutwilligen Räuber
ihrer Kleider belustigt. Dem sei wie es
wolle, für die Frühzeit des 16. Jahrhunderts
ist die poetische Freiheit dieses Werkchens
würdig einem Meister der schärfsten Profi-
lierung. Der allgemeine Charakter der Ar-
beit weist in das Gebiet des Oberrheins
und der Donau2 und die Hand des Verfer-
tigers ist aus der Reihe der Kollektivtypen
leicht spaltbar. Dieser Meister ist Hans
Wydyz der Ältere, der Sohn des Bartholo-
mäus Wydyz aus Meißen3. Die Zuweisung
geschieht auf Grund stilistischer und soma-
tischer Übereinstimmungen. Im Jahre 1505
hat Hans Wydyz seinen Dreikönigsaltar in

1 Vom Verfasser erscheinen demnächst: „Die Bildwerke
der Sammlung Sigmaringen.“ Photographien von Dr.
Lossen, Stuttgart.
2 Burckhardt (Hans Wydyz the Eider. Burlington
Magazine. Fol. XI. 1907. S. 212) hat irrtümlicherweise
unter anderem auch das Martyrium des hl. Sebastian, ein
bayrisches Werk im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin,
Hans Wydyz zugeschrieben. Vgl. Vöge, Die deutschen
Bildwerke. 1910. S. 128.
3 Flamm, Repertorium f. Kunstw. S. 115.

Freiburg vollendet1. Es ist notwendiger-
weise auf den Kopf des knienden Königs
hinzuwe’isen, der eine ähnliche Bildung der
Nase, Nasenwurzel, der Stirnmuskulatur
und der wulstigen Bogen der Augenbrauen
besitzt (Abb. i und 5); diese gemeinsamen
Merkmale sind persönliche Eigenart. Im
übrigen liefern das Schamtuch des Schmer-
zensmannes der drei Aufsatzstatuetten und
das Kopftuch der Madonna am Freiburger
Altar2 das genaueste handschriftliche Ge-
genstück zum Schleiertuch der Alten; man
bemerkt dieselbe Schichtung der parallelen
Falten, dieselbe, in Sigmaringen eine Spur
weichere Wellenlinie und leichte Knitte-
rung des Saums (Abb. 1 und 2). Doch den
zwingendsten Beweis geben die Hände, mit
den zarten, grazilen Fingern, deren Enden
sich fein ausspitzen, die zuweilen aber
auch in kleinen platten Knoten endigen.
Die linke Hand des Mohrenkönigs zeigt die
ganze Individualität des Meisters. Endlich
erwächst das Standmotiv beide Male der-
selben Grundstellung, nämlich vorgesetz-
tes rechtes Bein und stark nach außen ge-
drehte Vorderfüße. Nur der Nabel der Al-
ten hat nicht die auffallende dreieckige
Schüssel wie der Schmerzensmann, ein
Umstand, der sich aus dem Wunsch der
Beibehaltung, des in der häßlichen Brust-
warze angeschlagenen Tones wohl erklä-
ren ließe. Indessen lassen gerade die ver-
senkten Teller der Brustwarzen mit die
Brücke schlagen zu der später, um 1510
entstandenen Adam- und Evagruppe im hi-
storischen Museum zu Basel (Abb. 3). Frei-
lich erhebt dort die Kunst des Meisters all
das zur höchsten Anmut, was er hier noch
herb, kleinkünstlerisch unvollendet zeigt.
Allein kein einziges typisches Merkmal der
Basler Akte fehlt bei der schämigen Alten.
Das gilt von dem eigenartigen, slawisch an-
mutenden System der Proportionen, bei-
spielsweise der eigenartigen Pyramide, die
Schlüsselbein-, Halswirbel- und Trapez-
muskel zusammen errichten; gilt auch von
dem Linienfluß und den Mulden der Mus-
keln — man denke an Hüft- und Wadenge-
staltung, an die schmale schwanke Fes-
sel —, von der Haut und den scharfge-
ritzten aphoristischen Falten an Oberschen-
keln, Glutäen, Achselhöhlen und von der
wollig und grob behaarten Scham.
Die Entstehungszeit der Alten ordnet sich

1 Die bis jetzt bekannten Werke des Meisters hat Otto
Schmidt (Oberrheinische Plastik im ausgehenden Mittel-
alter. 1924) in schönen Abbildungen publiziert.
Otto Schmidt. Oberrheinische Plastik usw., Taf.104

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