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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 6
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Eine unbeachtete Wurzel römischer und christlicher Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0361

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Eine unbeachtete Wurzel römischer und
christlicher Baukunst

Im österreichischen Museum für Kunst
und Industrie in Wien hielt Univ.-Prof.
Dr. Heinrich Glück einen Vortrag überdas
genannte Thema, das nicht nur für die
Entstehung der römischen und altchrist-
lichen, sondern auch für die der mittel-
alterlichen Baukunst, soweit das Problem
der Entstehung der Gotik in Betracht
kommt, ganz neue Richtlinien gibt. Der
Vortragende führte aus:
Für den heutigen Romfahrer sind es
weniger die Reste der an die griechische
Überlieferung anschließenden Säulentem-
pel, die den Eindruck des alten Rom be-
stimmen, als vielmehr die riesigen Mas-
senbauten, wie wir sie im Pantheon, in
der Maxentiusbasilika, der Engelsburg und
den großen Thermenanlagen vorfinden.
Bei diesen Bauten spielten die griechi-
schen Elemente ehemals nur die Rolle der
Verkleidung. Diese auf der Mauermasse
und dem Kurvengrundriß basierenden
Bauformen haben ihre Grundlage in den
schon in prähistorischer Zeit über den
ganzen westlichen Mittelmeerkreis verbrei-
teten Massenbauten, wie den Nuraghen,
Talayoten, Trullis und Apsidenhäusern,
die dortselbst schon eine Monumentali-
sierung volkstümlicher afrikanischer For-
men bedeuten. Von ihnen läßt sich unter
Vermittlung Karthagos, als der politischen
und kulturellen Vorläuferin Roms, eine
direkte Entwicklungslinie bis zu den Bau-
ten der römischenKaiserzeit ziehen. — Ein
zweitesmal macht sich diese volkstümlich
in Nordafrika verbreitete Bauart direkt im
christlichen Rundbau mit Stützeneinstel-
lung geltend, der in Rom seine Haupt-
vertreter in Sa. Constanza und in San Ste-
fano rotondo, dem „Rätsel des Mons Cae-
lius“ hat. Gerade an dem letzteren Bau
gelang es dem Vortragenden eine histo-
risch belegte Linie über Jerusalem und
Gaza, einer der letzten und bedeutendsten
Zentralen des Heidentums, bis nach Abes-

synien zu finden, wo die dort heimische
Rundbauform mit Stützeneinstellung auch
im christlichen Kirchenbau typisch wurde
und bis in den Westen des nördlichen
Afrikas Verbreitung fand. — Im dritten
Teil des Vortrages beschäftigte sich Glück
mit der südeuropäischen Baukunst des
christlichen Mittelalters und versuchte, zu
dem Problem der Entstehung des Kreuz-
rippengewölbes von hier aus Stellung zu
nehmen. Der Vortragende zeigte zuerst,
wie jene alte westmittelländische Bauart
in den Gebieten Süditaliens bis heute
volkstümlich lebendig geblieben ist. In
der Zeit seit dem Jahre 1000, in der die
südeuropäischen Länder Italien und Spa-
nien national neu auflebten, wurde sie
unter fortwährendem Zustrom vom Süden
(Islam) nochmals künstlerisch fruchtbar
und setzte sich auch in Monumentalbau-
ten, wie in den Kuppel- und Halbtonnen-
wölbungen an den apulischen Domen,
durch. Zu dieser Zeit wird in Süditalien,
und noch früher in Spanien das in den
afrikanischen volkstümlichen Bauten ver-
breitete Motiv des mauerartig überhöhten
Gurtbogens als Träger von gekrümmten
Decken wieder zu monumentaler Form
im Steinbau gesteigert. Marseille und Moi-
ssac scheinen in Südfrankreich Einfalls-
pforten zu bedeuten. Möglicherweise spiel-
ten aber auch die vom Norden gekom-
menen und im Süden mit jenen Wurzeln
bekannt gewordenen Normannen eineVer-
mittlerrolle, die im Zusammenhang mit
dem nordischen Stabhochbau, Traveen-
bau und der Verstrebung (s. die These
Strzygowskis, Cicerone, Heft 24) zu jenem
sechsteiligen Rippengewölbe führten, das
Paul Frankl in Caen als Zufall gelten las-
sen mußte, hier aber auf breiter Basis
entwickelt wird. — Dieser ganze Fragen-
komplex soll in einer vorbereiteten größe-
ren Abhandlung vom Kunsthistorischen In-
stitut in Florenz veröffentlicht werden.

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