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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 7
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Kühn, Herbert: Die Kunst der Eiszeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0373

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Die Kunst der Eiszeit
Mit fünf Abbildungen auf zwei Tafeln Von HERBERT KÜHN

WIR erleben gegenwärtig eine der seltenen Epochen der Kunstgeschichte,
den Wandlungspunkt zweier großer Stile. Hinter uns liegt eine Zeit,
die allein die Wiedergabe der Natur als Kunst betrachtete. Innerhalb ihres
Stiles konnte es viele Formen geben, man konnte die idealisierte Nachahmung
der Natur als das Höchste schätzen, wie in der Renaissance, man konnte auch
die Darstellung des Bewegten, des Momentanen, des Plötzlichen suchen wie
im Impressionismus: immer aber war es die Wiedergabe der Natur, des wirk-
lich Vorhandenen. Diese Zeit hat mit der Sicherheit der Einseitigkeit alle
Stile abgelehnt, die das Geistige suchten, die andere Ziele hatten. Die Gotik,
die byzantische Kunst waren für diese Zeit nur Stufen der Entwicklung, die
zu einer Höhe führten: der Renaissance.
In unserer Zeit plötzlich erleben wir einen Wandel der Anschauung. Er
ging aus von der lebendigen Kunst unserer Zeit, die Kunstgeschichte folgte ihr.
Wir erlebten plötzlich, daß die Maler unserer Tage den alten Weg verließen,
daß sie andere Wege gingen, andere Pfade suchten, Pfade, die nicht mehr in
der Richtung der Wiedergabe der Natur lagen, sondern die das Gegenteil er-
strebten, die Abwendung von der Natur, die Hinwendung zu einem innerlich
erschauten Bild, zu einem Geistigen, das den stärksten Ausdruck suchte. Die
Zeit war reif geworden für einen anderen Stil mit anderen Zielen.
Jeder Stil der Kunstgeschichte sucht seine Ahnen, jede Zeit sucht die Zeit
auf, die ihr selbst verwandt erscheint. Die Renaissance blickte zurück nach
der Antike, nicht deshalb, weil, wie man sagte, die Bildwerke der Alten in
Italien lebendig waren — sie waren es auch die Jahrhunderte vorher — son-
dern weil der Geist des Mittelalters vergangen war, weil ein neues indivi-
duelles Fühlen und Denken das kollektivistische der früheren Zeiten abgelöst
hatte. Das Denken war verwandter geworden dem Menschen der Antike als
dem des Mittelalters; die Kunst, von gemeinschaftlichen Bindungen befreit,
lebensvoller in ihrer Gestaltung, fühlte sich näher den Griechen als den eigenen
Ahnen.
Die Impressionisten wieder suchten ihre Ahnen. Sie standen gegen ihre
Väter, gegen ihre Lehrer, sie fanden ihr Vorbild in Hals, in Rembrandt, in der
Spätantike.
Auch die neue Kunst unserer Tage mußte ihre Ahnen suchen. Sie fand sie
zuerst in der Gotik, in der romanischen Kunst, die plötzlich für unsere Zeit
ein ganz neues Gesicht, eine ganz neue Bedeutung bekam. Aber der Weg war
damit noch nicht beendet. Man suchte weiter und weiter nach immer stärkeren,
immer eindeutigeren Parallelen. Man fand sie in der Kunst Ostasiens, in der
Kunst Afrikas, in der Kunst der Südsee. Und plötzlich besann man sich auf
ein Gebiet, das die Kunstgeschichte fast vergessen hatte, auf die Kunst der Vor-
zeit Europas.
Ungeheure Zeiträume sind es, die die Kunstgeschichte dieser Zeit umspannt.
Wir sehen andere Menschen, andere klimatische Verhältnisse. Wir sehen
viele Stilarten, vielfachen Wandel und vielfache Ziele. Schon früh hat man
für diese großen Zeiträume Gliederungen gefunden. Drei Epochen sind es,
die sich deutlich voneinander scheiden: Die Zeit der Altsteinzeit, des Paläo-
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Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 7

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