Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0640

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Neue Bücher

Kunstgeschichte u. a. ein wertvolles Grüne-
wald-Buch dankte, ist als Professor und
Direktor des kunsthistorischen Instituts an
die Universität in Madison (U. S.A.) berufen
worden und wird dem Rufe Folge leisten.
Neue Bücher
Walter Passarge, Das deutsche Ves-
perbild im Mittelalter. Verlag F. J.
Marcan. Köln.
Mit diesem Bande beginnt der F.J.Mar-
can-VerlaginKöln eine Bücherreihe: „Deut-
sche Beiträge zur Kunstwissenschaft“, für
die als Herausgeber der Hallenser Ordi-
dinarius Paul Frankl gewonnen wurde. Die
Ausstattung des Buches — Papier, Druck
und Abbildungen auf Tafeln — ist gut. Es
sollen Arbeiten (besonders Dissertationen)
aufgenommen werden, die für die „Kennt-
nis des geschichtlichen Verlaufs“ oder für
die „Erkenntnis kunstgeschichtlicher Syste-
matik“ wertvoll sind. Ein neuer Band —
„Die Kirchen der Bettelorden in Deutsch-
land“ von Rich. Krautheimer — ist bereits
angekündigt worden. Da heute die Disser-
tationen in nur wenigen Schreibmaschinen-
exemplaren auf den Dekanaten oder Uni-
versitätsbibliotheken lagern und für wei-
tere Kreise schwer zugänglich bleiben, muß
die Absicht mit besonderem Danke begrüßt
werden.
Der Verfasser hat die Kenntnisse, das
Einfühlungsvermögen und die Sprachge-
walt, dem deutschen Vesperbilde nach je-
der Hinsicht gerecht zu werden. Er bietet
in seiner umfassenden Untersuchung über
dasWesen (essentia), dieTypenfolge in der
Wirklichkeit (existentia) und die sich wan-
delnde Formgesinnung dem Wissenschaft-
ler Grundlagen für weitere landschaftliche
Spezialforschungen und dem kunstlieben-
den Laien eine zugleich tiefschürfende und
lesbare Einführung.
Die Fragen ob, wieweit und wo etwa
in der Malerei Vorläufer des plastischen
Vesperbildes sich nachweisen lassen, sind
in dieser sich klug beschränkenden Arbeit
nicht gestellt. Auf Grund der Pinderschen
Untersuchungen über „die dichterische
Wurzel der Pieta“ wird nur als erwiesen
hingenommen, daß die dichterische Gestal-
tung der bildnerischen vorangegangen sei.
Neue Parallelen zwischen beiden werden
aufgezeigt und zur Deutung benutzt. Das
religiös erregte Empfindungsleben derZeit
wird als eigentlicher Inhalt der plastischen
Gestaltung heraufbeschworen. Die Darstel-
lung des Verfassers erweitert sich so von
selbst zu einer bei aller Knappheit erschöp-
fenden Behandlung der geistig-religiösen

Struktur des 14. Jahrhunderts, dessen lieb-
stes Kind die Pieta blieb.
Das 14. Jahrhundert kennt zwei Haupt-
typen des Vesperbildes: Maria, die ihren
Sohn hochgerichtet auf dem Schoße hält
(„treppenförmiger Diagonaltyp“) und einen
andern mit knabenhaft klein gebildetem Chri-
stus. (Beispiele: Pieta aus Scheuerfeld auf
der Veste Koburg — Pieta der Severiwerk-
statt im Erfurter städtischen Museum.) In
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts über-
wiegt die monumentale, in der zweiten
Hälfte die „intime“ Fassung. Der kindhaf-
ten Bildung scheint eine literarisch-mysti-
sche Vorstellung zugrunde zu liegen:Rück-
erinnerung an die Tage von Bethlehem.
„Damit ist der grausige Vorgang aus seiner
unmittelbaren Vergegenwärtigung ins Zeit-
lich-Unbestimmte erhoben und aus dem
Reich erschütternder Klage in die Sphäre
stiller träumerischer Wehmut hinüberge-
glitten.“ Ob die monumentale oder die „in-
time“ Fassung die ältere ist, kann aus dem
Bestand der plastischen Denkmäler allein
nicht geschlossen werden. Es wird Auf-
gabe einer Spezialuntersuchung sein, an
der Hand des Erhaltenen auch außerhalb
Deutschlands und in der Malerei und durch
Vergleiche mit verwandten plastischen Dar-
stellungen (pleureurs und Annaselbdritt) die
Frage der Herkunft und der Typenpriorität
zu erörtern.
Im frühen 15. Jahrhundert verbreitet sich
von Osten aus der „Horizontaltypus“. (Bei-
spiel: Pieta in einer Chorkapelle des Mag-
deburger Domes.) In ihm verbinden sich
absolute Wirklichkeitstreue und repräsen-
tative Haltung in einer fast zum Selbst-
zweck gewordenen „idealen Harmonie“. Er
verschwindet mit der Zersetzung des wei-
chen Stiles. Gleichzeitig erfährt der monu-
mentale Typus des 14. Jahrhunderts am Mit-
telrhein und in Westfalen, eine einzigartige
Verwandlung. (Beispiel: Pieta aus Ostrich
im Liebighaus, Frankfurt a. M.) Der wich-
tigste Typus des reifen 15. Jahrhunderts ist
die „Maria mit dem nach vorn gedrehten
Christus“, eine Synthese aller vorangegan-
genen. (Beispiel: Pieta aus Tegernsee im,
Kaiser-Friedrich-Museum, Berlin.) Er nimmt
die Wagerechte vom Horizontaltyp, den Fall
der Arme vom monumentalen, er bildet
Christus kleiner als die Maria, aber nie kind-
haft. Ein erneutes Streben nach geschlos-
senem Umriß und nach Flächenhaftigkeit
wird bemerkt. Er zeigt die Neigung, sich in
den größeren Zusammenhang der Bewei-
nung zu ordnen. Anstelle des aristokrati-
schen Idealtyps vom Anfang des 15. Jahr-
hunderts herrscht jetzt ein „bürgerlich der-
ber Realismus“ vor. Gegen Ende desjahr-

616
 
Annotationen