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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 17
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0901

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Ausstellungen

eröffnet wurde und durch das Tarimbecken
führte. Dem kommerziellen Vorstoß Chinas
folgte der politische und kulturelle, wie
durch die Entdeckungen bewiesen wird, die
im Gebiete des alten Lou-lan gemacht wur-
den (heute die wasserlose, vom Wind aus-
gefegte Wüste im Norden von Lop-nor).
Sir Aurel Stein fand hier sehr interessante
chinesische Seidengewebe aus dem Zeit-
raum zwischen dem ersten Jahrhundert vor
Ch. und dem ersten Jahrhundert nach Ch.
Es sind das die ältesten uns bekannten Sei-
denfabrikate. Ihre feinen Dessins zeugen
von dem außerordentlich hohen Stand der
damaligen chinesischen Seidenindustrie
und eröffnen ein völlig neues Kapitel in
der Geschichte der dekorativen Kunst Chi-
nas. Neben den seidenen Textilien wurden
wollene Tapeten gefunden von unverkenn-
bar hellenistischem Charakter. Winderosion
hatte dermaßen zugunsten der Forscher ge-
arbeitet, daß sie in der Lopwüste eine Un-
zahl von Steinwerkzeugen direkt vom Bo-
den auflesen konnten.
Nachdem die Expedition das Bassin des
Su-lo-ho erreicht hatte, nahm sie die Er-
forschung des chinesischen Limes auf, der
um 102 vor Ch. zum Schutze der zentral-
asiatischen Handelsroute erbaut worden
war und fand in den verlassenen Beobach-
tungsstationen eine Unmenge von Über-
resten aus dem Leben der einst dieses öde
Grenzgebiet bewachenden Soldaten, darun-
ter chinesische Dokumente auf Holz aus
dem ersten Jahrhundert vor und nach Ch.
Ferner sind auf der Ausstellung Exemplare
der 500 chinesischen Manuskriptrollen zu
sehen, die aus dem Gebiet der „Thousand
Buddhas“, südlich von Tun-huang, stam-
men und dem großen „cache“ entnommen
wurden, die Sir Aurel anläßlich seiner frü-
hem Expedition entdeckt hatte.
Ganz besonders interessant sind die Grä-
berfunde, die von der Expedition in Turfan,
in chinesisch Turkestan, gemacht wurden.
Sie bestehen neben den bereits erwähnten
Wandmalereien aus Murtuk (heute inDelhi)
aus Seiden, von denen eine große Anzahl
„sassanischen“ Charakter aufweisen, ferner
aus Stuckfiguren von Männern und Frauen,
Pferden und andern Tieren, Modellen von
Möbeln, Kleidern, Toilettgegenständen,
Speisen für die Toten, byzantinischen Gold-
und sassanischen Silbermünzen. Bo.
MARBURG
Die Pläne für das Kunsthaus, das aus
Stiftungen des Landes der Universität zu
ihrem 400jährigen Jubiläum 1927 geschenkt
werden soll, gehen ihrer Verwirklichung
entgegen. Der Mittelpunkt des Gebäudes

wird die kunstwissenschaftliche Bibliothek
sein. Um sie herum scharen sich das kunst-
historische, archäologische, vorgeschicht-
liche Institut und die Arbeitsräume für die
heimischen, durchreisenden oder zum Stu-
dienaufenthalt verweilenden Forscher. Mit
Material gespeist werden alle diese Kanäle
von dem immer weitere Kreise ziehenden
Lichtbildverlag Prof. Hamanns, der ebenso
wie der Buchverlag des Kunsthistorischen
Seminars Aufnahme findet.
Zu der Bibliothek, den Instituten, dem
Verlag kommt dann noch das Museum und
gibt erst der ganzen Idee in solchem viel-
seitigen Ineinandergreifen und Ergänzen
ihre Eigenart: Der hessische Geschichts-
verein will seine von dem ehemaligen Lan-
deskonservator Bickell gegründete Samm-
lung dem Kunsthause als Leihgabe über-
lassen. Es wird sich dann erst zeigen,
welche Schätze besonders an Plastik von
den Lettnerfiguren der Elisabethkirche bis
zu den Gestalten Ludwig Juppes, den Ei-
sentafeln Soldans, den Tonreliefs der Trey-
saer Werkstatt und den Eisenhoit nahe-
stehenden Prachtkacheln vorhanden sind.
Venezianische Gläser aus hessischen Hüt-
ten, Marburger Töpfe, Dreihäuser-Krüge,
eine Abteilung Schmiedeeisen machen
dann den eigentlich kunstgewerblichen Teil
aus. Es besteht die Absicht, auch eine
kleine Galerie ausgesuchter moderner Ma-
lerei anzugliedern, um vor allem der
immer noch einseitig historisch-philolo-
gisch, tatsachen-wissenschaftlich gerichte-
ten Studentenschaft an die Pforten der
Sinne, des Erlebens und der beseelten Bil-
dung zu klopfen. Daß dabei zunächst die
hessischen Künstler bevorzugt werden, daß
als Erstes Gemälde von Paul Baum, Ubbe-
lohde, Thielmann erworben wurden, wird
der Einheit von Alt-Hessischem undNeuem
wegen sinnvoll erscheinen, ohne daß dabei
irgendwie ein Programm festgelegt sein
soll. Das Kunsthaus streckt wohl seine
Arme in alle Fernen und Weiten, ist aber
dabei in Hessen und Marburg verwurzelt
—■ steht doch herb, still und groß zu seinen
Häupten das Landgrafenschloß und ist
doch der kristallene Dreiflügelchor der Eli-
sabethkirche, die Versammlung der Land-
grafengräber, der goldene Schrein immer
wieder Befruchtung Marburger Kunstfor-
schung gewesen.
Als Vorläufer der größeren Pläne veran-
staltet die Universität schon jetzt Ausstel-
lungen junger Malerei und modernen Kunst-
gewerbes. Zur Zeit wird eine Sammlung
von Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen
von Heinrich Schäfer-Simmern, der aus der
Kasseler Akademie hervorgegangen ist, ge-

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