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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 20
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Grohmann, Will: Das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#1011

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Burg ist vorläufig noch keine Unterbringung, wie man sie wünschen möchte.
Die sternförmig angeordneten Kojen haben aber leidlich gutes Licht, und
schließlich wird Halle früher oder später den beabsichtigten Museumsneubau
durchführen können. Auf alle Fälle hat die Initiative der Stadtverwaltung
einen Erfolg gehabt, der selten ist, und durch eigene Kraft geleistet, was zu-
weilen durch das Glück einer Schenkung oder Stiftung eintritt.
Die Sammlung Fischer war auf der Idee aufgebaut, die neue deutsche
Kunst, wie sie in Kirchner, Nolde, Marc, Kokoschka u. a. erstand, in hervor-
ragenden Stücken zu vereinigen. Sie umfaßte vor dem Verkauf gegen 70 Ge-
mälde und eine große Anzahl von Aquarellen, Pastellen und Zeichnungen.
Außer den genannten Künstlern waren in ihr vertreten Max Pechstein, August
Macke, Georg Kars, Carl Mense, Christian Rohlfs, Felix Müller, Otto Dix,
Paul Klee. Etwa 50 Bilder sind zusammengeblieben und bilden heute noch
eine erstklassige Sammlung. Die Auswahl für das Museum erfolgte so, daß
bei genauester Abwägung der Qualitäten wieder ein zusammengehöriges Gan-
zes entstehen sollte. Das ist unzweifelhaft gelungen. Was in den entschei-
denden Jahren zwischen 1905 und 1915 in der deutschen Malerei vorging,
kann man außer in Halle höchstens noch an zwei bis drei öffentlichen Stellen
in dieser Klarheit sehen. Allerdings fällt in die gleiche Zeit die Geburt der
abstrakten Kunst, und ihre besten Vertreter warten immer noch vergeblich
darauf, in die Gemeinschaft der Museen aufgenommen zu werden. Vielleicht
wäre es aber taktisch verfehlt gewesen, in Halle die Öffentlichkeit gleichzeitig
auch noch vor dieses Problem zu stellen, zumal in der Sammlung Fischer nur
Klee gut vertreten war.
Von E. L. Kirchner sind vorhanden: Ins Meer Schreitende 1912 (Abb.),
Stilleben 1912, Gelbe Tänzerin 1914, Damen im Cafehaus 1914, Sich kämmender
Akt 1915 (Abb.), Kartenspielender Knabe 1915, Vater und Sohn 1915. Alles
Bilder aus der Berliner Periode, in der Kirchner mit höchster Anspannung
an der Weiterbildung seiner schon in Dresden beginnenden strengen Form-
gebung arbeitet. Auf den „Badenden“ aus Fehmarn (Abb.) liegt rechts vorn
eine von oben in der Verkürzung gesehene Gestalt, die seine Formabsicht, die
Übersetzung der Wirklichkeit in ein Symbol, klar erkennen läßt. Aus der
Komposition des Ganzen ergibt sich die Beschaffenheit der Dinge, ihre Pro-
portion, ihre Farbe, ihre Bedeutung. Die Vitalität eines Kirschnerschen Bildes
ist so groß, weil alle seine Teile von einem Zentrum aus leben, das nicht
vom Vorgang, sondern vom Darstellungswillen des Malers abhängt. „Die gelbe
Tänzerin“ entstammt dem Umkreis seiner Variete-Bilder, auf denen ähnlich
wie in den Straßenbildern derselben Zeit der bis zum Zerreißen gespannte
Wille des Großstadtmenschen einen exakten und zeitdokumentarischen Aus-
druck erhält. Die Cafehauszene (Abb.) ist von einer außergewöhnlichen Fein-
heit und Eleganz der Farben und Formen, die das Vorurteil von der Unkulti-
viertheit der neuen Malerei in Deutschland Lügen straft. Ich kenne keinen
Franzosen, der mit dieser Präzision und Abgewogenheit der Farben und For-
men konkurrieren könnte. Die beiden Porträts stammen aus der Zeit seiner
Bekanntschaft mit Botho Gräf in Jena, der als erster nachdrücklich für Kirch-
ner eintrat. Sie sind physiognomisch von großer Eindringlichkeit und scharf
in der Erfassung des Persönlichsten; ohne in die Gestalten etwas hineinzupro-
jizieren, was nicht in ihnen ist, geben sie mehr, als der Zeitgenosse zu sehen
pflegt, ein Stück der Wirklichkeit, die sich hinter dem Außen verbirgt. Der
„Sich kämmende Akt“ (Abb.) gehört in die Reihe der großen Figurenbilder,
die von da an durch die formale Konzentration so weit über den Gegenstand
der Darstellung hinauswachsen, daß Gleichnisse eines Lebens entstehen,

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