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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 20
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Grohmann, Will: Das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#1012

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dessen weltanschauliche und soziologische Beschaffenheit bisher nur in der
Verwirklichung des Malers offenbar wird. Die Farbigkeit eines solchen Bildes
folgt wie die Perspektive oder die Umformung der Dinge demselben Gesetz
der inneren Vorstellung. Sollte es gelingen, die Kollektion Kirchner durch
ein paar frühe und letzte Bilder abzurunden, so wird man im Hallenser
Muäeum besser als in jedem anderen das Wesen dieses großen Künstlers
erfassen können.
Von Schmidt-Rottluff ist ein Selbstporträt mit Monokel da (1910). Es ist
ebenso kühn und einfach wie seine Holzschnitte. Der schwarzkonturierte
ockerfarbige Kopf und der grüne Sweater stehen auf Gelb, das von allen
Seiten ein leuchtendes Rot umschließt. Farbe und Geste haben etwas treff-
sicher Improvisiertes, dem die Festigkeit des Formaufbaus zu Hilfe kommt
und Haltung gibt. Ein paar Aquarelle aus letzter Zeit geben wenigstens eine
Ahnung von Schmidt-Rottluffs Entwicklung in den letzten fünfzehn Jahren,
deren Konsequenz das Kontemplative zu überwuchern drohte, bis sich jetzt
herausstellt, daß er doch zu den wenigen starken und eigenwilligen Ver-
tretern der neuen deutschen Kunst gehört und nicht nur durch das umfäng-
liche Werk seiner Holzschnitte. Erich Heckels fünf Bilder stammen aus den
Jahren 1913—1915, in denen Heckel den Ertrag seiner stärksten Jahre igio bis
1912 ausbaut (Karamasow 1912). Inzwischen ist die lyrische Komponente
seines Wesens so selbständig geworden, daß sie die Struktur der Werke ge-
fährdet. Es will fast scheinen, als wäre Heckel durch die Übermacht der Weg-
bereiter zu Anfang des Jahrhunderts in eine Position gedrängt worden, die
seiner Veranlagung nicht völlig entsprach, und als ob er einer neuen Ein-
schichtung in die Entwicklung entgegentaste. Der „Hamburger Hafen“ 1913
(Abb.) ist eine seiner kühnsten Landschaften und erfüllt von einem männlichen
Pathos. Hinter der „Frühlingslandschaft in Flandern“ 1915 steckt bereits ein
Thomascher Geist, der in den späteren Landschaften, abgewandelt durch die
Formensprache einer jüngeren Generation, viel augenscheinlicher noch sich
Geltung verschafft. In Heckel wirken sich auf der einen Seite Kräfte aus,
die aus der Romantik herüberreichen und ihn zum deutschen Maler
machen, auf der anderen Seite hat der Impuls der Zeit und der Umgebung sich
auch seiner Person bemächtigt und Leistungen erzwungen, die seine Grenzen
nach der großen Welt hin öffnen. Die „Irren“ oder die „Unterhaltung“ (1914,
Abb.) tendieren nach dieser Richtung, nach der Gestaltung eines allgemein
menschlichen Gefühls, wie es in den Köpfen einzelner, auch vom Krieg nicht
beeinträchtigt, sich entwickelte. Nur, daß selbst hier eine Spur nazarenischen
Geistes die Tonart angibt.
Otto Müllers „Akte“ und „Pferde auf der Weide“ (Abb.) wirken wie eine
liedhafte, elegische Begleitung neben diesen drei Persönlichkeiten. Otto Müller
ist keineswegs ohne Eigenart, und wenn auch die Gleichförmigkeit der teppich-
haften Farbengewebe in größeren Kollektionen leicht ermüdet, die Idylle seiner
sehnsuchtsvollen Gestalten und Landschaften ist ohne Verlust aus der Kette
der Erneuerung der deutschen Malerei nicht mehr hinwegzudenken: Die
„Pferde auf der Weide“ bereichern die Vorstellung von seinem Werk nach
der gegenständlichen Seite hin.
Mit dem ign erworbenen „Abendmahl“ (190g) und dem kürzlich hinzu-
gekommenen „Haremswächter“ (1912) besitzt das Museum fünf Gemälde
Emil Noldes, und zwar fünf, die ihn von den verschiedensten Seiten zeigen,
als Neuschöpfer religiöser Darstellungen, als Maler phantasiemäßiger orien-
talischer Vorstellungen, als Gestalter des Meeres und der immer wieder neu
gemalten Blumengärten. Das „Abendmahl“ wird ein Wendepunkt in der reli-

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