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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 9
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Zülch, Walther Karl: Grünewalds Sohn
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0307

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Von W. K. ZÜLCH

Grünewalds Sohn

GRÜNEWALD stirbt als ein Entwurzelter 1528 im lutherischen Halle, und sein Nach-
laß wird durch des Freundes Unterschlagung in Frankfurt unter die Trödler und
Pfandleiher verstreut! — Mathis Grünewald hielt sich 1527 im Januar und Mai in Frank-
furt auf, um einen Prozeß wegen einer geringfügigen Summe zu führen und um einen
merkwürdigen Auftrag zu erledigen. Die Stadt Magdeburg hatte durch ihren Gesandten
in Frankfurt die Erlaubnis eingeholt, die städtischen Mühlanlagen am Main zu stu-
dieren, da Magdeburg ein ähnliches Werk zu bauen beabsichtigte. Diese Mainmühlen
stellen eine sinnreiche und vielseitige Ausnutzung der Wasserkräfte nicht etwa nur
zum Mahlen von Mehl dar, sie waren ein in ihrer Zeit vorbildliches Industriewerk.
Grünewald sollte einen für Bauzwecke brauchbaren Riß dieser Anlage herstellen. Ob
er selbst mit nach Magdeburg ging, als Ingenieur an dem Bau beteiligt war, ist mit
hoher Wahrscheinlichkeit zu bejahen, da nach seinem Tode Magdeburg von Frankfurt
dessen Ingenieur Caspar Weitz zur Vollendung erbittet. Von Magdeburg ist Grünewald
zu einer gleichartigen Aufgabe alsdann nach Halle berufen worden. Hier stehen wir
auf urkundlichem Boden, weil Halle ihn „Wasserkunstmacher“ nennt. Es ist wohl so
zu denken, daß Grünewald die Mühlenbauten in Magdeburg im Sommer 1527 so ge-
fördert hatte, daß er 1528 den Auftrag in Halle beginnen konnte. Das ist durchaus eine
bekannte Gepflogenheit, wenn Baumeister mehrere Aufträge an verschiedenen Orten
nebeneinander leiteten, die wir aus den Bauhütten genugsam kennen. Andererseits war
die an sich in den Verträgen für Bauten immer nur oder hauptsächlich in Frage kom-
mende Sommerarbeit bei Wasserbauten die einzig mögliche. Der Winter mit seiner
kurzen Lichtzeit und Überflutungen gehörte vorbereitender Arbeit. Grünewald Wasser-
kunstmacher! Freilich nennen ihn die Urkunden Maler und Wasserkunstmacher, aber
das Schicksal des größten Farbengenius liegt hier beschlossen, ein nur ahnend zu
erschließendes Geheimnis. Der Maler wurde 1527 in Frankfurt in jenen Truhen voll
Farben, Hofkleidern, Pinseln, Lutherschriften und halbvollendeten Bildtafeln begraben,
an denen eine Aufschrift kündete: Mathis Gothardt Nithardt Maler (siehe meine Ver-
öffentlichung im Repertorium ig2i). Der Ingenieur und Wasserkunstmacher versuchte
nach dem Sturz aus der Gunst des größten Kunstfürsten durch eine kunstfeindliche
revolutionäre Gegenwart den Anschluß an die neue Zeit, und stirbt bei dem Versuch;
jählings brach er zusammen, hatte „aber leider nit viel ausgerichtet“. Als er Ende
August 1528 die Augen in Halle schloß, war das begonnene technische Wasserkunst-
werk erst in den Anfängen. Ich erinnere, daß ein früher Zeuge, Vincenz Steinmeyer,
den Grünewald „Maler und Künstener“, und so nur ihn in einer großen Zahl von
„Künstlern“ nennt. Künstener, das auch im Wasserkunstmacher steckt, können wir
nur wiedergeben im Inhaltswerte seiner Zeit, wenn, wir Ingenieur dafür setzen und
dabei an Genie denken. Wo gab es damals in deutschen Landen einen zweiten so
„künstreichen“ Mann, Maler und Ingenieur, dessen geistige Parallelen wir am Thron
des Papstes als die Malerarchitekten der Peterskirche wiederfinden! Gothardt-Nithardt-
Grünewald starb an der Zerteilung seines Wesens, die ihm auf erlegte, das Malen zu
lassen, um in technischer Arbeit seinen Lebensweg zu Ende zu gehen, im Dienste
kleiner Stadtgemeinden, während seine italienischen Geistesverwandten in der harmo-
nischen Vereinigung aller ihrer Kräfte den Abschluß ihres Wirkens fanden. Nur
noch Wasserkunstmacher, der, dessen wunderbarem Pinsel vom Elsaß bis Halle
25 Jahre eine Fülle von Aufträgen erwuchs! Als er im tiefen Zerwürfnis mit dem Kar-
dinal Albrecht — wofür die Lutherschriften und die Aufruhrakte in seinem Nachlaß
den Fingerzeig geben, bis einmal ausführliche Urkundenfunde die Zusammenhänge auf-
klären — den glänzenden Hof von Mainz-Aschaffenburg verlassen hatte, deponierte er
in Frankfurt seine ganze Habe bei dem Stickereimeister Hans von Sarbrücken und
seinen Adoptivsohn Andreas gab er einem Bildschnitzer in Seligenstadt in die Lehre,
der im protestantischen Zeitalter zum Tischler herabgesunken war. Der Stickereimeister
Sarbrücken, noch wenige Jahre vorher ein reicher, vielbeschäftigter Mann, ist um 1530
verschuldet und arbeitslos! Die zermalmende Wirkung des Protestantismus auf künst-
lerischem Gebiet in seinem ersten Jahrzehnt 1520 bis 1530 kann nicht deutlicher sich
zeigen. Über Grünewalds bei dem Seidensticker und Vormund hinterlegtes Vermögen
wurde Oktober 1528 nach seinem Tode ein amtliches Inventar aufgenommen. Diesem
verdanken wir überhaupt unsere späte Kenntnis vom wahren Grünewald. Seitdem ich
diese Urkunde 1921 veröffentlichte, die nur von einem Gothardt-Nithardt handelt, ist
dessen Identität mit dem fälschlich später sogenannten Grünewald eine allgemein an-
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Der Cicerone, XVIII. Jahrg., Heft 9

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