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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 23
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0803

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RUND SCHAU

Sammlungen
MÜNCHENER RESIDENZ - MUSEUM
In der Münchener Residenz, die sich in-
zwischen zu einem wundervollen Museum
nachmittelalterlicher Raumkunst auswuchs,
arbeitet man weiter an endgültiger Ordnung
der Dinge. Charlottenzimmer, Festsaalbau,
Antiquarium usw. werden bald in endgülti-
ger Fassung gezeigt werden, Silberkammer,
Porzellane usw. werden neu geordnet, das
Marstallmuseum erhielt einige neue Arbei-
ten. Jetzt wurden die Gemächer Ludwigs II.
zugänglich gemacht. Nach Gründung des
Ludwig II.-Museums in Herrenchiemsee ist
somit das seltsame, rein geschichtlich aber
interessante Wohn- und Kunstideal Lud-
wigs II. überschaubarer geworden. Die Mün-
chener Gemächer stellen die erste Raumauf-
fassung des 20jährigen Königs dar (1866 bis
1868). Er begann hier mit Rezeption Lud-
wigs XIV. (um sich später anderem Hi-
storisieren hinzugeben). Für den geschicht-
lich Eingestellten können auch solche Ver-
fallsepochen interessant werden. Fesselnde
Beispiele für eine völlige Maskierung des
Lebensgefühls, hier zunächst mit dem
Pomp des 18. Jahrhunderts.
Rote oder blaue Seidenbespannung, gold-
strotzende plastische Wanddekorationen,
Goldstickerei, rauschende Deckenbilder
von Rud. Seitz, der hier die Rolle eines
Romanen laus dem 17. Jahrhundert annimmt.
Neben ihm Piloty, Fr. Bamberger. Der große
Wintergarten (der sich an die Folge des
völlig erhaltenen Empfangs-, Schlaf- und
Schreibzimmers anschloß), wo der empfind-
same König vor kolossalen gemalten tropi-
schen Szenerien auf einem Zimmerteiche
ruderte und Opernfragmente schlürfte, ist
nicht mehr erhalten. Es bleibt Aufgabe
einer Kunstwissenschaft, nun ganz exakt
aufzuzeigen, inwiefern dieser in entschwun-
denen Idealen aufrauschende Wohnstil
doch alle Merkmale der zweiten Hälfte
des ig. Jahrhunderts behielt. Warum er
ferner Verfall blieb (woran trotz Revision
von Einzelheiten nicht zu rütteln ist), wäh-
rend der Stil Ludwigs I. bedeutend blieb,
obgleich beide den historisierenden Re-
zeptionsstilen angehören. B.
DIE BILDWERKE DES BAYRI-
SCHEN NATIONALMUSEUMS
Als IV. Abteilung innerhalb des monu-
mentalen Katalogwerks, das die Direktion
des Bayr. Nationalmuseums seit Jahren
(neuerdings mit Unterstützung der Notge-
meinschaft d. Wissenschaft) herausgibt
und im ganzen fünf Bände umfassen wird,

erschien soeben mit einem Anhang von
allein 336 Tafeln Rudolf Berliners Arbeit
über die Bildwerke in Elfenbein, Kno-
chen, Hirsch- und Steinbo ckhorn, ein
Dokument wissenschaftlicher Forschung,
das Bewunderung verdient. Die Einleitung
berichtet, gestützt auf die historischen Quel-
len, über die Geschichte dieser Sammlung,
die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in
ihrem Bestände ziemlich unverändert ge-
blieben ist. Dann folgt der beschreibende
Katalog mit seinen 8g6 Nummern, der die
Stücke chronologisch und geographisch,
sowie später auch nach Techniken geord-
net hat und in seinen ikonographischen und
und quellengeschichtlichen Angaben ein
Musterbeispiel wissenschaftlicher Arbeit
ist. Den Beschluß macht ein kleiner Er-
gänzungskatalog, der die Schätze in den
Residenzen von München, Würzburg und
den Schlössern von Aschaffenburg und
Ansbach behandelt, so daß in diesem
prächtigen Band alles an Elfenbeinen und
Stücken aus verwandtem Material aus
ehemals fürstlich bayerischem Besitz zu-
sammengefaßt ist. Der Hauptbestand dieser
Sammlungen umfaßt die Werke des 17. und
18. Jahrhunderts, die sich bekanntlich erst
im letzten Jahrzehnt eines bevorzugten
Interesses erfreuen konnten, und es mag
kurz angemerkt sein, daß Berliners Katalog
an mittelalterlichen Arbeiten inkl. der alt-
christlichen, insgesamt 78 Nummern be-
handelt, während das 16. Jahrhundert nur
durch 34 Nummern belegt ist. Der gesamte
stattliche Satz der Nummern von 114—8g5
gehört dagegen — ausgenommen ganz
wenige Stücke aus der 1. Hälfte des ig.
Jahrhunderts —- dem Barock und Rokoko,
das angefangen bei Christoph Angermair,
über Ignaz Eihafen, Simon Troger bis zu
Itelsperger gerade in Süddeutschland die
besten Vertreter dieser Schnitzkunst gehabt
hat. Darum wird auch Berliners Arbeit auf
Jahre hinaus gerade auf diesem Gebiet
grundlegend bleiben, und es dürfte heute
bereits kaum einen zweiten Kenner geben,
der wie er speziell die Elfenbeinplastik der
letzten Jahrhunderte beherrscht. Zu erwäh-
nen endlich noch die hervorragende Aus-
stattung des Werkes, die dem Verlag von
Dr. Benno Fils er in Augsburg zur Ehre
gereicht1. Schade, daß auch diesmal Text
und Bildteil voneinander getrennt sind,wo-
durch die praktische Handhabung und die
Möglichkeit, Wort und Bild gleichzeitig zu
übersehen, auf Kosten der buchtechnischen
Schönheit leider erschwert wird. Biermann.

1 Preis dieses Bandes geb. M. 150.—.

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