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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 7
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Grohmann, Will: Oskar Kokoschka: Lot und die Töchter
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0243

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OSKAR KOKOSCHKA: LOT UND DIE TÖCHTER
VON WILL GROHMANN
»Lot und die Töchter« gehört mit »Saul« und »Jakob« zu den Hauptwerken aus
Kokoschkas Dresdner Zeit, die mit der »Macht der Musik« (1918) beginnen und
dem »Maler« (1925) aufhören. Tn diesen Jahren -vollzieht sich der Durchbruch
zum Malerischen schlechthin, zum Bau aus Farbe und Form, aus dem Geschehen,
Sinn und Bedeutung sekundär erwachsen. Nie hat Kokoschka sich so viel mit
seinen Bildern gequält, so lange an ihnen gearbeitet wie in dieser Zeit. Die
weit vorauseilende Intuition sucht er mit der Klarheit des Bewußtseins einzu-
holen, Zufälliges, von selbst Gewordenes nachträglich vor sich selbst zu beweisen.
Was hatte ihn bisher Raum, Aufbau, Plastik gekümmert, das zweite Gesicht zu
realisieren hatte vollauf genügt. Jetzt w ollte er mehr, die Begründung und Be-
festigung der Form in großen Bildern. Auch die biblische Legende ist Nachtrag.
Einem spitzen Dreieck sind die drei Gestalten eingeschrieben, massiv ineinander
gewuchtet zu einem Block, dessen plastische Intensität Gestaltaufbau und Pro-
portion nach seinem Gesetz zurechtbiegt. Die starre Vertikale des Mannes saugt
die biegsameren Diagonalen der Frauenkörper an und schafft ein rein formales
Ineinander, das Grad und Ausmaß der gefühlsmäßigen Wirkung unabhängig,
aber parallel dem physiognomischen Charakter der Figuren und ihrer Beziehungen
bestimmt. Im Gegensatz zu den beiden anderen biblischen Gruppenbildern stellt
Kokoschka die Pyramide vor eine Landschaft, den vielleicht ein Dutzend mal von
derselben Stelle aus gemalten Blick aus seinem Dresdner Atelier auf das Neu-
städter Ufer mit Elbe und Dreikönigskirche, auch damit die Aktualität der Dar-
stellung unterstreichend und gleichzeitig den Block der Gestalten nach allen Seiten
loslösend. Man erinnert sich der damals oft geäußerten Absicht Kokoschkas, eine
Malerei zu schaffen, die streng in der Fläche bliebe wie alte Wandbilder, von
rechts nach links und von unten nach oben sich aufbaue, und trotzdem durch
sinnfällige Dreh- und Achsenpunkte dem Blick des Beschauers ein Herumgehen
um die Figur, die Gruppe ermögliche. Ein solcher Achsenpunkt scheint mir
in der linken, von dem dunklen Frauenkopf verdeckten Schulter des Mannes
zu liegen, von wo aus die räumlichen Richtungskomponenten des dreiköpfigen
Monstrums festgelegt sind. Wahl und Auftrag der Farbe unterstützen die räum-
liche Blickführung und zwingen gleichzeitig in die Ruhe flächiger Ausgewo-
genheit zurück. Die Leuchtkraft des Pigments aber verwischt jeden Schein der
Mühe und läßt das Werk als das Resultat einer heiteren Stunde erscheinen.
Wenn Kokoschka anschließend auf seinen Reisen die große Reihe von Land-
schaften mit ungehemmter Leichtigkeit und Beherrschung des Räumlichen in
verhältnismäßig kurzer Zeit schaffen konnte, so verdankt er diese Kraft nicht zu-
letzt der entsagungsvollen, disziplinierten Arbeit in den Dresdner Jahren.

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