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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 12
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Gold, Alfred; Meier-Graefe, Julius [Gefeierte Pers.]: Julius Meier-Graefe: zu seinem 60. Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0400

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freiwillige Begrenzung, die durch das Thema gegegeben ist, ihm die große Menge
oder nur auserwählte Leser zuführte? Ist nicht gerade diese Begrenzung ein
Ruhmestitel? — Heute stößt sich niemand mehr daran, daß Meier-Graefe damals,
zu Anfang des neuen Jahrhunderts, sich mit fast fanatischem Eifer auf die französi-
schen Impressionisten und ihre Vorläufer warf. Wer aber, außer ihm, hätte es
gewagt? Wie war damals die allgemeine Stimmung? Die Kunst der Courbet,
Manet, Renoir, Degas usw. war über dem Horizont aufgestiegen, war auch bei uns,
durch Heilbuth, durch Muther, berühmt geworden und — sollte wieder unter-
gehen. Denn auch in Deutschland, hier vielleicht vor allem, schwört man auf
das Gesetz der wechselnden Moden. Man hatte bald »genug« vom Impressio-
nismus. Tschudi stand in der Berliner National-Galerie, vollständig einsam, im
Kampf. Die deutsche Wissenschaft wollte nicht durch moderne Namen gestört
werden, und die Tageskritik erklärte sich durch ihre berufensten Vertreter für
impressionisten»müde«. Da kamen Meier-Graefes systematische Aufsätze und
Bücher. Da kam einer, der den ganzen kunstkritischen Prozeß vollständig neu
wieder aufrollte, ihn von allen Seiten neu anpackte, von der Seite der Freilicht-
Landschaft ebenso wie von der der Romantik und des Realismus. Ich glaube,
daß er mit dieser Aufrührung dessen, was man schon wieder für überwunden
hielt, zunächst seine Leser fürchterlich langweilte. Dann fielen ihm einige
Sensationen in den Schoß. Er entgötterte Böcklin — mit einiger Übertreibung.
Er distanzierte Menzel — auch nicht unüberti-ieben. Er machte mit Tschudi
zusammen eine deutsche Jahrhundertausstellung mit siebzig Bildern von Ma-
rees! — einigen Besuchern, darunter dem Schreiber dieser Zeilen, erschien auch
das ein wenig outriert. Aber nun kannte man ihn. Und nun las man seine
Bücher in Deutschland wie überall und kannte durch sie den französischen Im-
pressionismus und seine epochale Bedeutung. Wie wenig hätten wir ohne seine
Hartnäckigkeit, seine Kühnheit, seine Leidenschaft davon gewußt!
Überflüssig, dieses literarische Werk hier im einzelnen zu kritisieren; es liegt
aufgeschlagen vor Jedermann da. Die kleine Schwäche, die manchmal vielleicht
in seiner zu gepflegten oder gar gesuchten Eleganz und Dramatik des Vortrags
steckt, zählt nicht neben der wundervollen Inspiriertheit seiner besten Passagen.
Seine größte Stärke scheint mir die: Er macht als Kunstkritiker aus den Tat-
sachen, auf die er sich stützt, aus psychologischen Daten, Stilkritik, Eindrucks-
kritik, ästhetischen Schlußfolgerungen usw., ohne sie etwa ä la Berenson aka-
demisch zu zerlegen, ein einheitlisches Ganzes; er durchlebt dieses Ganze mit sei-
nem Temperament; er läßt es in einer lebendigen Masse hinfließen. Und wie fest-
gefügt ist bei alledem seine Entwicklungsgeschichte in drei Bänden. Wie herrlich
sind seine Betrachtungen, zu denen er im Laufe der Darstellung wie von selber zu
kommen scheint, etwa über Manet oder die Aquarelle Cezannes. Es gibt Partien
darunter (Manet, München 192a, S. 268—270), bei denen man sich denken
mag, daß sie überhaupt das Letzte über die Möglichkeiten der Malerei sagen.
Meier-Graefe ist an sein selbstgewähltes Gebiet nicht als Fachmann im Schul-
sinne herangegangen, sondern als Mann der Feder, als Schriftsteller großen Stils.
Es zeigte sich etwas, woran einige vielleicht nie gezweifelt haben: daß auch das
Früchte trägt. Es zeigte sich aber noch mehr: daß beim großen Schriftsteller
auch das »Sachliche« (schon aus literarischer Tugend!) genau so gut aufgehoben
ist wie beim gelern ten Kunsthistoriker, der nicht immer ein großer Schriftsteller ist.

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