ZU DONATELLO
VON PAUL SC HUBRING
Der Kardinal Rinaldo Brancacci ist in Neapel am 27. März 1427 gestorben.
Die Erben in Florenz, derselben Familie angehörend wie die Auftraggeber Ma-
saccios, haben Donatello um ein Grabmal des Kirchenfürsten in S. Angelo a Nilo
in Neapel, wo er bestattet liegt, gebeten. Donatello war damals in Pisa und hat
das Grabmal seinen Gehilfen Michelozzo und Pagno di Lapo Portigiani in der
Hauptsache übertragen. Die Madonna in der Höhe ist eine Arbeit Pagnos, das
andere wurde bisher bis auf das herrliche Assuntarelief Michelozzo zugeschrieben.
Ein erneuter Besuch der Kirche hat mich aber überzeugt, daß wir noch eine
Figur dem Meister selbst zuweisen müssen: es ist die rechte der drei Parzen
oder Karyatiden, die den Sarkophag tragen. Zwei dieser Figuren, die mittlere
und linke, sind in der Tat von Michelozzo 5 dagegen verrät die rechte eine an-
dere, bedeutendere Hand. Michelozzo ist leicht an seinen harten Falten zu er-
kennen, an einer gewissen glasigen Kühle, an der Haartracht und vor allem an
einer billigen Simplizität, die Gewagteres vermeidet. So ist auch in Neapel die
Art, wie die mittlere Parze steht und den Balken stützt, matt und verlegen.
Die Falten laufen hart und flach; das Gewand fällt reizlos und ohne jeden
Schwung herab, die rechte Hand hängt sehr anders im Bausch, als Donatello so
etwas z. B. bei den Campanile-Statuen gemacht hat. Wie ganz anders wirkt da-
gegen die rechte Figur! Sie trägt nicht nur, sie tritt freudig heran ; das Stützen des
Armes ist ernsthaft, der linke Arm legt sich quer vor die Hüfte und bildet so für
den rechten Ellenbogen eine Konsole. Mit großem Pathos fällt der Mantel in
wallender Fülle von der linken Schulter zu den Füßen herab5 unter dem linken
Arm ist ein interessantes Nest und bei den Beinen dunkeln zwei Nischen. Der be-
rühmte gekrollte Saum ist auch wieder da, an der linken Schulter. Vor allem
aber müssen uns die geistvoll behandelten Haare überzeugen, daß hier kein
anderer als Donatello selbst in Frage kommen kann. Michelozzo behandelt das
Haar nach spätantikem Schema; Donatello gibt die Flut, das Spiel stolzer Sträh-
nen. Es ist genau das gleiche Haar wie bei dem Marcus an Or San Michele
und beim Abraham am Campanile. Stolz und breit bindet ein flaches Stirnband
die Haarfülle zusammen und die Stirne ab. Dieses Band findet sich schon auf
der gleichzeitig (1428) gegossenen Figur der Fede am Sieneser Taufbrunnen;
auch die Maria des Assuntareliefs trägt eine tief abgebundene Stirne. Das
Relief ist »schiacciato« behandelt; eine Rundfigur unterliegt anderen Gesetzen.
— Donatellos Werk ist bekanntlich nicht reich an Frauengestalten. Vor Neapel
hat er nur die Margarete am Georgsrelief, die Madonna des Grabmals Cossa,
die drei Allegorien desselben Grabes und die Figuren des Sieneser Taufbrunnens
gemacht; darunter ist keine einzige große Bundfigur, während große männ-
liche Statuen reichlich vorhanden sind. Die erste große Frauengestalt ist die
Vergine des Verkündigungstabernakels in Sa Croce, das doch sicher erst nach der
römischen Reise, um 1455, entstanden ist. Wir gewinnen also ein wichtiges
Stück, die einzige weibliche Statue Donatellos in den ersten 45 Jahren dieses
Meisters. Ihrer Funktion entsprechend ist sie nicht von lebender Zartheit und
Lieblichkeit erfüllt wie jene Königstochter, die Georg vom Tod befreit, sondern
vom Pathos einer Norne, als Sargträger und Totenwächter. Wie milde und
konventionell wirken daneben die drei allegorischen Frauen am Cossa-Grab!
27 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 13
599
VON PAUL SC HUBRING
Der Kardinal Rinaldo Brancacci ist in Neapel am 27. März 1427 gestorben.
Die Erben in Florenz, derselben Familie angehörend wie die Auftraggeber Ma-
saccios, haben Donatello um ein Grabmal des Kirchenfürsten in S. Angelo a Nilo
in Neapel, wo er bestattet liegt, gebeten. Donatello war damals in Pisa und hat
das Grabmal seinen Gehilfen Michelozzo und Pagno di Lapo Portigiani in der
Hauptsache übertragen. Die Madonna in der Höhe ist eine Arbeit Pagnos, das
andere wurde bisher bis auf das herrliche Assuntarelief Michelozzo zugeschrieben.
Ein erneuter Besuch der Kirche hat mich aber überzeugt, daß wir noch eine
Figur dem Meister selbst zuweisen müssen: es ist die rechte der drei Parzen
oder Karyatiden, die den Sarkophag tragen. Zwei dieser Figuren, die mittlere
und linke, sind in der Tat von Michelozzo 5 dagegen verrät die rechte eine an-
dere, bedeutendere Hand. Michelozzo ist leicht an seinen harten Falten zu er-
kennen, an einer gewissen glasigen Kühle, an der Haartracht und vor allem an
einer billigen Simplizität, die Gewagteres vermeidet. So ist auch in Neapel die
Art, wie die mittlere Parze steht und den Balken stützt, matt und verlegen.
Die Falten laufen hart und flach; das Gewand fällt reizlos und ohne jeden
Schwung herab, die rechte Hand hängt sehr anders im Bausch, als Donatello so
etwas z. B. bei den Campanile-Statuen gemacht hat. Wie ganz anders wirkt da-
gegen die rechte Figur! Sie trägt nicht nur, sie tritt freudig heran ; das Stützen des
Armes ist ernsthaft, der linke Arm legt sich quer vor die Hüfte und bildet so für
den rechten Ellenbogen eine Konsole. Mit großem Pathos fällt der Mantel in
wallender Fülle von der linken Schulter zu den Füßen herab5 unter dem linken
Arm ist ein interessantes Nest und bei den Beinen dunkeln zwei Nischen. Der be-
rühmte gekrollte Saum ist auch wieder da, an der linken Schulter. Vor allem
aber müssen uns die geistvoll behandelten Haare überzeugen, daß hier kein
anderer als Donatello selbst in Frage kommen kann. Michelozzo behandelt das
Haar nach spätantikem Schema; Donatello gibt die Flut, das Spiel stolzer Sträh-
nen. Es ist genau das gleiche Haar wie bei dem Marcus an Or San Michele
und beim Abraham am Campanile. Stolz und breit bindet ein flaches Stirnband
die Haarfülle zusammen und die Stirne ab. Dieses Band findet sich schon auf
der gleichzeitig (1428) gegossenen Figur der Fede am Sieneser Taufbrunnen;
auch die Maria des Assuntareliefs trägt eine tief abgebundene Stirne. Das
Relief ist »schiacciato« behandelt; eine Rundfigur unterliegt anderen Gesetzen.
— Donatellos Werk ist bekanntlich nicht reich an Frauengestalten. Vor Neapel
hat er nur die Margarete am Georgsrelief, die Madonna des Grabmals Cossa,
die drei Allegorien desselben Grabes und die Figuren des Sieneser Taufbrunnens
gemacht; darunter ist keine einzige große Bundfigur, während große männ-
liche Statuen reichlich vorhanden sind. Die erste große Frauengestalt ist die
Vergine des Verkündigungstabernakels in Sa Croce, das doch sicher erst nach der
römischen Reise, um 1455, entstanden ist. Wir gewinnen also ein wichtiges
Stück, die einzige weibliche Statue Donatellos in den ersten 45 Jahren dieses
Meisters. Ihrer Funktion entsprechend ist sie nicht von lebender Zartheit und
Lieblichkeit erfüllt wie jene Königstochter, die Georg vom Tod befreit, sondern
vom Pathos einer Norne, als Sargträger und Totenwächter. Wie milde und
konventionell wirken daneben die drei allegorischen Frauen am Cossa-Grab!
27 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 13
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