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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 15
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0507

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RUNDSCHAU

DIE VAN GOGH-AUSSTELLUNG DER
BASLER KUNSTHALLE
150 WERKE DER SAMMLUNG KRÖLLER
Basel hatte vor drei Jahren seine erste große
Van-Gogh-Schau. Mit den Gemälden aus dem
Nachlasse des Künstlers wurde im Frühjahr
1924 der gesamte, recht ansehnliche schweize-
rische Privatbesitz an Werken van Goghs ge-
zeigt, im ganzen etwa hundert Gemälde und
Zeichnungen, worunter namentlich die Spät-
zeit des Malers mit den hervorragendsten Ar-
beiten vertreten war. Schon damals war es der
Wille der Veranstalter der Ausstellung gewe-
sen, auch die Kröllersche Van Gogh-Samm-
lung aus dem Haag zu zeigen. Erst dieses
Frühjahr jedoch hat sich Frau H. Kröllcr-
Müller der einstigen Bitten erinnert und ihrem
ebenso liberalen wie großzügigen Entgegen-
kommen dankt nun Basel nach der Trübner-
und Böcklin-Schau die dritte große künstleri-
sche Veranstaltung dieses Sommers: die Aus-
stellung der Kröllersehen Vincent
Van Gogh-Sammlung in der Kunst-
halle, die noch bis Mitte August offensteht.
Die Kröllersche Van Gogli-Sammlung umfaßt
143 Werke aus allen Schaffensperioden des
Künstlers; es ist eine Sammlung, die nament-
lich über die Entwicklung des Malers un-
schätzbare Aufschlüsse gibt. Daneben ist sie
aber auch ein ganz anders gereinigtes Bild vom
W esen des Schaffens van Goghs zu bieten im-
stande als etwa die Ausstellung vor drei Jah-
ren, die sich in mehr zufälliger Weise zusam-
mensetzte. Man spürt, daß in der Auswahl die-
ser Bilder bestimmte und feste Gesichtspunkte
leitend waren, die vor allem Bedacht nahmen
auf das Verbundensein van Goghs mit hollän-
discher Art. Dementsprechend ist die Frühzeit
des Malers, von seinen ersten künstlerischen
Versuchen in Etten und im Haag bis zu seiner
Übersiedlung nach Paris mit Zeichnungen und
Gemälden in einem Umfange vertreten, wie
man ihn anderswo schlechthin nicht trifft.
Dutzendweise finden sich hier jene Zeichnun-
gen mit Kohle und Blei nach Arbeiter- und
Bauerntypen, von denen van Gogh in seinen
Briefen immer und immer wieder schreibt,
finden sich aber auch seine frühen maleri-
schen Erzeugnisse, Bauernköpfe in schwerem
holländischen Dunkel, Bilder von Handwer-
kern und Landarbeitern in jenen ,,Grüne-Sei-
fen-Tönen“. Daneben gehen Stilleben von
einer malerischen Finesse und Kultur, die mit
den besten Arbeiten der Mauve, Verster und
Allebe wetteifern. Mit sinnfälliger Stärke er-

lebt man in diesen Frühwerken das Verbun-
densein van Goghs mit der holländischen
Kunst, die Bedingtheit seines Stils durch die
zeitgenössische Umgebung, aber auch das frühe
und unaufhaltsame Durchdringen seiner per-
sönlichen Eigenart: Welch ungeheure Wand-
lungen der Künstler späterhin rein als Maler
durchmachte, das Wesentliche seiner Künstler-
schaft, das sich in diesen frühen Werken aus-
spricht, ist davon nicht mehr berührt worden.
Aber auch die Werke der Pariser Zeit, von
denen die Sammlung Kröller etwa anderthalb
Dutzend in vorzüglicher, die vielseitige, von
den mannigfaltigsten Anregungen förmlich
gehetzte Tätigkeit in der Seinestadt ausgezeich-
net veranschaulichender Auswahl vereinigt,
zeigen ungemein klar den abseitigen Weg, den
van Gogh inmitten einer Umgebung von
Künstlern ging, denen malerische Kultur das
Höchsterstrebenswerteste schien. Deutlich sieht
man, wie langsam und logisch der Umschwung
erfolgt— es war kein Überbordwerfen des eige-
nen Besitzes von heute auf morgen! —, wie,
nachdem die Unzulänglichkeit der bisherigen
Tonigkeit zum Ausdrucke dessen, was zu sagen
war, einmal erkannt, diese durch die sprü-
hende Koloristik, die die Arbeiten der Pariser
Zeit auszeichnet, ersetzt wurde — jener Kolo-
ristik, die dann erst im Süden, in Arles und
St. Remy und später in Auvers-sur-Oise, ur-
eigenste Ausprägung erfuhr. Unter diesen spä-
ten Arbeiten nehmen vor allem diejenigen ge-
fangen, die von einer bei van Gogh so selte-
nen Ruhe und heiteren Stimmung erfüllt sind
und die fast ausnahmslos in die ersten Arleser
Monate gehören. Als einziges Gemälde aus den
letzten Monaten in Auvers besitzt die Kröller-
sche Sammlung eine Landschaft mit drei Bäu-
men, von denen der vorderste in Blüte steht
— ein Bild, das in seinem merkwürdigen Kon-
trast von heller, leuchtender Farbigkeit und
zerflatternder Form der Baumsilhouetten an-
mutet wie das kurze Aufleuchten einer aus
tiefsten Einsichten geborenen Heiterkeit, wie
das ergreifende Lächeln aus totwunder Seele.
Im Kranze dieser Werke aus den letzten Schaf-
fensjahren fehlt wohl manche selten schöne
Blume, fehlt trotz des mannigfaltigen Reich-
tums des Vorhandenen, wohl manches Meister-
werk, das von der früheren Ausstellung her
noch in starker Erinnerung lebt. Dafür aber
entschädigt die sehr viel höhere Durchschnitts-
qualität des Ganzen und die fast lückenlos ver-
anschaulichte Entwicklung bis zum jähen
Ende. Diese beiden Vorzüge wird der Samm-
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