DAS NEUE EUROPA AUF DER ZENTENAR-
AUSSTELLUNG IN HAMBURG
VON WILL GROHMANN
Die ersten Begegnungen der europäischen Völker auf den internationalen Aus-
stellungen nach dem Kriege waren eine Sensation. Man hatte sich lange ent-
behrt, und besonders auf Deutschland lastete die Abgeschlossenheit. Man
empfand den Einbruch der Franzosen, Italiener und Russen wie eine Befreiung,
und die Blutstauung eines ganzen Dezenniums ließ endlich nach. Ein paar
Jahre hatte man damit zu tun, Richtungen und Persönlichkeiten zu registrieren
und zu analysieren, und das Glück immer neuer Entdeckungen und Erkennt-
nisse schuf eine Atmosphäre ernsthafter Kunstbegeisterung. Der Jahrmarkt des
Kunstbetriebes beutete allzu rasch den guten Willen und die Gutgläubigkeit
der kunstinteressierten Kreise aus, die Invasion unbedenklicher Sammler steigerte
die Verwirrung und eine bleierne Resignation war das Ende. Es blieb wie im-
mer in solchen Fällen die reife Leistung einiger Weniger und das Versprechen
Vieler; demzufolge die repräsentative Schau deutscher und europäischer hoch-
wertiger Kunst auf der einen, die unverbindliche Vorstellung der Zeitgenossen
und des Nachwuchses im Stile der juryfreien Ausstellungen auf der anderen
Seite. Der Kunstfreund wird sich mehr an jene sorgfältig vorbereiteten Über-
blicke halten; der Fachmann wird sich nicht mit der Feststellung dessen, was
ist, begnügen. Er fragt, was wird, sucht nach der Bestätigung gewonnener Er-
kenntnisse und nach neuen Fragestellungen. Ist tolerant Kunstspeichern gegen-
über, außerordentlich kritisch aber gegen offizielle Veranstaltungen, deren Sinn
nur sein kann, erstrangige Werke zu zeigen und die Erkenntnis der Kunst und
der Zeit zu vertiefen.
Die »Internationale« 1926 in Dresden brachte gegen tausend Werke und ließ
den künstlerischen Strömungen innerhalb der einzelnen Länder einen breiten
Raum. Die Hamburger Zentenar-Ausstellung beschränkt sich auf 250 Arbeiten
und muß schärfer auswählen. Nach dem Programm ist der Sinn der Ausstellung
»eine Zusammenfassung derjenigen bildkünstlerischen Kräfte, welche die Stil-
periode des Impressionismus ahgelöst haben«. »Die Kölner Sonderbundaus-
stellung von 1912 — heißt es weiter — wird somit durch diese Veranstaltung
eine Nachfolge finden, erweitert durch die Ergebnisse der seither vergangenen
15 Jahre.« Die Beschaffung des Materials war so verteilt, daß G. Pauli die skan-
dinavischen Länder, England und die Schweiz, Th. Brodersen Deutschland,
Österreich, Ungarn und dieTschechoslowakei, Fr. Ahlers-Hestermann Frankreich,
Italien, Spanien, Rußland und Polen, J. Hauptmann Belgien und Holland be-
sorgten.
Um es von vornherein zu sagen, eine Fortsetzung der Kölner Sonderbundaus-
stellung ist die Hamburger nur dem Ziele nach. In Köln traten 1912 die Maler
des neuen Durchbruchs zum ersten Male offiziell auf, die Maler der »Brücke«,
des »Blauen Reiters«, die Kubisten, sie und die gewaltigen Kollektionen Cezan-
nes, v. Goghs, Gauguins, Munchs erzwangen eine Revision der jüngeren Kunst-
geschichte. Seitdem ist zwar viel geschehen, aber der Gewinn liegt seither mehr
in der Ausreife als im Durchbruch neuer Tendenzen (Verismus, Konstruktivis-
mus), von rechtswegen müßte heute die Architektur einbezogen werden, wenn
503
AUSSTELLUNG IN HAMBURG
VON WILL GROHMANN
Die ersten Begegnungen der europäischen Völker auf den internationalen Aus-
stellungen nach dem Kriege waren eine Sensation. Man hatte sich lange ent-
behrt, und besonders auf Deutschland lastete die Abgeschlossenheit. Man
empfand den Einbruch der Franzosen, Italiener und Russen wie eine Befreiung,
und die Blutstauung eines ganzen Dezenniums ließ endlich nach. Ein paar
Jahre hatte man damit zu tun, Richtungen und Persönlichkeiten zu registrieren
und zu analysieren, und das Glück immer neuer Entdeckungen und Erkennt-
nisse schuf eine Atmosphäre ernsthafter Kunstbegeisterung. Der Jahrmarkt des
Kunstbetriebes beutete allzu rasch den guten Willen und die Gutgläubigkeit
der kunstinteressierten Kreise aus, die Invasion unbedenklicher Sammler steigerte
die Verwirrung und eine bleierne Resignation war das Ende. Es blieb wie im-
mer in solchen Fällen die reife Leistung einiger Weniger und das Versprechen
Vieler; demzufolge die repräsentative Schau deutscher und europäischer hoch-
wertiger Kunst auf der einen, die unverbindliche Vorstellung der Zeitgenossen
und des Nachwuchses im Stile der juryfreien Ausstellungen auf der anderen
Seite. Der Kunstfreund wird sich mehr an jene sorgfältig vorbereiteten Über-
blicke halten; der Fachmann wird sich nicht mit der Feststellung dessen, was
ist, begnügen. Er fragt, was wird, sucht nach der Bestätigung gewonnener Er-
kenntnisse und nach neuen Fragestellungen. Ist tolerant Kunstspeichern gegen-
über, außerordentlich kritisch aber gegen offizielle Veranstaltungen, deren Sinn
nur sein kann, erstrangige Werke zu zeigen und die Erkenntnis der Kunst und
der Zeit zu vertiefen.
Die »Internationale« 1926 in Dresden brachte gegen tausend Werke und ließ
den künstlerischen Strömungen innerhalb der einzelnen Länder einen breiten
Raum. Die Hamburger Zentenar-Ausstellung beschränkt sich auf 250 Arbeiten
und muß schärfer auswählen. Nach dem Programm ist der Sinn der Ausstellung
»eine Zusammenfassung derjenigen bildkünstlerischen Kräfte, welche die Stil-
periode des Impressionismus ahgelöst haben«. »Die Kölner Sonderbundaus-
stellung von 1912 — heißt es weiter — wird somit durch diese Veranstaltung
eine Nachfolge finden, erweitert durch die Ergebnisse der seither vergangenen
15 Jahre.« Die Beschaffung des Materials war so verteilt, daß G. Pauli die skan-
dinavischen Länder, England und die Schweiz, Th. Brodersen Deutschland,
Österreich, Ungarn und dieTschechoslowakei, Fr. Ahlers-Hestermann Frankreich,
Italien, Spanien, Rußland und Polen, J. Hauptmann Belgien und Holland be-
sorgten.
Um es von vornherein zu sagen, eine Fortsetzung der Kölner Sonderbundaus-
stellung ist die Hamburger nur dem Ziele nach. In Köln traten 1912 die Maler
des neuen Durchbruchs zum ersten Male offiziell auf, die Maler der »Brücke«,
des »Blauen Reiters«, die Kubisten, sie und die gewaltigen Kollektionen Cezan-
nes, v. Goghs, Gauguins, Munchs erzwangen eine Revision der jüngeren Kunst-
geschichte. Seitdem ist zwar viel geschehen, aber der Gewinn liegt seither mehr
in der Ausreife als im Durchbruch neuer Tendenzen (Verismus, Konstruktivis-
mus), von rechtswegen müßte heute die Architektur einbezogen werden, wenn
503