R UNDSCHAU
DAS MARBURGER JUBILÄUMS-KUNST-
INSTITUT
Die Stiftungen, mit denen die Marburger Uni-
versität zur Vierhundertjahrfeier von ihren
allen Studenten wie von den Behörden, Krei-
sen und Städten Kurhessens bedacht wurde
— es sind nicht weniger als anderthalb Mil-
lionen Mark —, haben zur Erbauung eines
Kunslinstitutes gedient. Nachdem die ur-
sprüngliche Absicht, den Plan dafür aus einem
allgemeinen Wettbewerb zu gewinnen, sich
nicht verwirklichen ließ, hat Regierungsbau-
rat Lütcke den Bau errichtet und beim Jubi-
läum zum Teil der Benutzung übergeben.
Das Kunstinstitut hat die doppelte Aufgabe,
Museum zu sein und in Lehr-, Bibliotheks-
und Arbeitsräumen den kunsthistorischen, ar-
chäologischen, prähistorischen und christlich-
archäologischenUnterricht auf zunehmen. Diese
vier Disziplinen, die bisher zu ihrem Schaden
in viel zu lockerer Fühlung miteinander stan-
den, haben hier eine Verschmelzung erfahren,
die in der Gruppierung der vier Seminare um
einen gemeinsamen Lesesaal ihren Ausdruck
findet. Dieser räumlichen Erweiterung des
Unterrichtes entspricht die Vermehrung der
Lehrkräfte. Zum Jubiläum ist ein Lehrstuhl
für Prähistorie, der erste in Deutschland, er-
richtet worden, ein Lektor unterrichtet im
Photographieren von Kunstwerken, einige
Kunsthistoriker aus verschiedenen Schulen
werden sich habilitieren. Für eine bedeutende
Erweiterung der Bibliothek ist durch eine große
Stiftung und Erhöhung der ständigen Mittel
gesorgt.
Viele Anregungen wird der Unterricht durch
die räumliche Vereinigung mit den Kunst-
sammlungen gewinnen. Die Archäologen wer-
den endlich ihre große, bisher unbenutzbar
gespeicherte Abgußsammlung aufstellen kön-
nen, und im kunsthistorischen Museum wird
der bedeutende Besitz des Hessischen Ge-
schichtsvereins, der bisher im Schloß zum klei-
neren Teile aufgestellt, zum größeren gesta-
pelt war, zu sehen sein. Er ist durch die hin-
gebende Sammelarbeit Ludwig Bickels ent-
standen, der im vorigen Jahrhundert mit dem
Ziel, die Grundlagen für ein hessisches Kunst-
und Kulturmuseum zu schaffen, Gegenstände
der verschiedensten Art und Bedeutung zu-
sammentrug. So besitzt die Sammlung, um
nur einiges Wichtige zu nennen: Kapitelle,
die dem karolingischen Fuldaer Dom zuzu-
schreiben sind; ein Limoges-Email mit der
Kreuzigung, zwei Kruzifixe vom Typ des
Braunschweiger Irmerwardkreuzes; eine Ma-
donna Ludwig Juppes, eines Marburger Mei-
sters von iÖ23; eine Zinnschüssel des Fran-
cois Briot und, einzigartig, eine Sammlung
gußeiserner Öfen des späten XVI. Jahrhun-
derts, die reich mit meist vorzüglichen Reliefs
erzählenden Inhalts dekoriert sind. DerHaupt-
meister dieser Gruppe ist Philipp Soldan von
Frankenberg. Dazu nun viele Truhen, Ge-
webe, keramische Gegenstände, Schmiedear-
beiten und dekorative Skulpturen, heimatlos
gewordene Reste einer alten Kultur.
Bedeutender noch sind die Gegenstände, die
dem Museum von der Elisabethkirche zur
pfleglichen Bewahrung übergeben worden
sind: Totenschilde zu Ehren von Deutsch-
ordensrittern oder Landgrafen mit üppigem
Ornament aus gepreßter, mit Kreide getränk-
ter und auf Holz genagelter Leinwand gefer-
tigt, ein durchaus einzigartiger Besitz; Reste
von Glasfenstern aus der Elisabethkirche, zum
Teil aufs mühsamste aus kleinen Brocken wie>-
der zusammengefügt; Skulpturen vom Lett-
ner, die vermittelnd zwischen den Statuetten
an den Marburger Grabmälern des frühen
XIV. Jahrhunderts und denen des Kölner
Hochaltars stehen; zwei außergewöhnlich
prächtige Teppiche mit der Geschichte vom
verlorenen Sohn , aus der Frühzeit des
XV. Jahrhunderts1.
Den Bestand der mittelalterlichen Skulpturen
vermehren höchst willkommen einige von der
Galerie Burg in Köln geliehene wertvolle Ma-
donnen des XIII. Jahrhunderts und der soge-
nannten böhmischen Gruppe der „schönen Ma-
donnen“. Den Grundstock für eine Gemälde-
sammlung bilden Leihgaben aus Kassel und
Berlin. Während auf dem Gebiete älterer Ma-
lerei ein Ausbau der Sammlung selbstver-
ständlich kaum in Frage kommt, ist eine Ga-
lerie der Lebenden im Entstehen, die ihres-
gleichen nur in großen Museen haben dürfte.
Weil im kunsthistorischen Unterricht inMar-
burg auf die Betrachtung der gegenwärtigen
Kunst besonderer Wert gelegt wird, haben die
meisten Prominenten unter den Lebenden dem
Marburger Kunstinstitut Werke gestiftet. Nach
Vereinigung dieser Stiftungen mit älterem
Besitz wird das Museum Bilder besitzen von
Paul Baum, Gurt Hermann, L. von Hofmann
1 Über die wichtigsten Gegenstände der Samm-
lung unterrichtet das Heft »Hauptwerke das Mu-
seums im Jubiläumsbau der Universität Mar-
burg« von A. Kippenberger. Verlag des Kunst-
geschichtlichen Seminars Marburg. 1927. M.2.—.
56 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 17
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DAS MARBURGER JUBILÄUMS-KUNST-
INSTITUT
Die Stiftungen, mit denen die Marburger Uni-
versität zur Vierhundertjahrfeier von ihren
allen Studenten wie von den Behörden, Krei-
sen und Städten Kurhessens bedacht wurde
— es sind nicht weniger als anderthalb Mil-
lionen Mark —, haben zur Erbauung eines
Kunslinstitutes gedient. Nachdem die ur-
sprüngliche Absicht, den Plan dafür aus einem
allgemeinen Wettbewerb zu gewinnen, sich
nicht verwirklichen ließ, hat Regierungsbau-
rat Lütcke den Bau errichtet und beim Jubi-
läum zum Teil der Benutzung übergeben.
Das Kunstinstitut hat die doppelte Aufgabe,
Museum zu sein und in Lehr-, Bibliotheks-
und Arbeitsräumen den kunsthistorischen, ar-
chäologischen, prähistorischen und christlich-
archäologischenUnterricht auf zunehmen. Diese
vier Disziplinen, die bisher zu ihrem Schaden
in viel zu lockerer Fühlung miteinander stan-
den, haben hier eine Verschmelzung erfahren,
die in der Gruppierung der vier Seminare um
einen gemeinsamen Lesesaal ihren Ausdruck
findet. Dieser räumlichen Erweiterung des
Unterrichtes entspricht die Vermehrung der
Lehrkräfte. Zum Jubiläum ist ein Lehrstuhl
für Prähistorie, der erste in Deutschland, er-
richtet worden, ein Lektor unterrichtet im
Photographieren von Kunstwerken, einige
Kunsthistoriker aus verschiedenen Schulen
werden sich habilitieren. Für eine bedeutende
Erweiterung der Bibliothek ist durch eine große
Stiftung und Erhöhung der ständigen Mittel
gesorgt.
Viele Anregungen wird der Unterricht durch
die räumliche Vereinigung mit den Kunst-
sammlungen gewinnen. Die Archäologen wer-
den endlich ihre große, bisher unbenutzbar
gespeicherte Abgußsammlung aufstellen kön-
nen, und im kunsthistorischen Museum wird
der bedeutende Besitz des Hessischen Ge-
schichtsvereins, der bisher im Schloß zum klei-
neren Teile aufgestellt, zum größeren gesta-
pelt war, zu sehen sein. Er ist durch die hin-
gebende Sammelarbeit Ludwig Bickels ent-
standen, der im vorigen Jahrhundert mit dem
Ziel, die Grundlagen für ein hessisches Kunst-
und Kulturmuseum zu schaffen, Gegenstände
der verschiedensten Art und Bedeutung zu-
sammentrug. So besitzt die Sammlung, um
nur einiges Wichtige zu nennen: Kapitelle,
die dem karolingischen Fuldaer Dom zuzu-
schreiben sind; ein Limoges-Email mit der
Kreuzigung, zwei Kruzifixe vom Typ des
Braunschweiger Irmerwardkreuzes; eine Ma-
donna Ludwig Juppes, eines Marburger Mei-
sters von iÖ23; eine Zinnschüssel des Fran-
cois Briot und, einzigartig, eine Sammlung
gußeiserner Öfen des späten XVI. Jahrhun-
derts, die reich mit meist vorzüglichen Reliefs
erzählenden Inhalts dekoriert sind. DerHaupt-
meister dieser Gruppe ist Philipp Soldan von
Frankenberg. Dazu nun viele Truhen, Ge-
webe, keramische Gegenstände, Schmiedear-
beiten und dekorative Skulpturen, heimatlos
gewordene Reste einer alten Kultur.
Bedeutender noch sind die Gegenstände, die
dem Museum von der Elisabethkirche zur
pfleglichen Bewahrung übergeben worden
sind: Totenschilde zu Ehren von Deutsch-
ordensrittern oder Landgrafen mit üppigem
Ornament aus gepreßter, mit Kreide getränk-
ter und auf Holz genagelter Leinwand gefer-
tigt, ein durchaus einzigartiger Besitz; Reste
von Glasfenstern aus der Elisabethkirche, zum
Teil aufs mühsamste aus kleinen Brocken wie>-
der zusammengefügt; Skulpturen vom Lett-
ner, die vermittelnd zwischen den Statuetten
an den Marburger Grabmälern des frühen
XIV. Jahrhunderts und denen des Kölner
Hochaltars stehen; zwei außergewöhnlich
prächtige Teppiche mit der Geschichte vom
verlorenen Sohn , aus der Frühzeit des
XV. Jahrhunderts1.
Den Bestand der mittelalterlichen Skulpturen
vermehren höchst willkommen einige von der
Galerie Burg in Köln geliehene wertvolle Ma-
donnen des XIII. Jahrhunderts und der soge-
nannten böhmischen Gruppe der „schönen Ma-
donnen“. Den Grundstock für eine Gemälde-
sammlung bilden Leihgaben aus Kassel und
Berlin. Während auf dem Gebiete älterer Ma-
lerei ein Ausbau der Sammlung selbstver-
ständlich kaum in Frage kommt, ist eine Ga-
lerie der Lebenden im Entstehen, die ihres-
gleichen nur in großen Museen haben dürfte.
Weil im kunsthistorischen Unterricht inMar-
burg auf die Betrachtung der gegenwärtigen
Kunst besonderer Wert gelegt wird, haben die
meisten Prominenten unter den Lebenden dem
Marburger Kunstinstitut Werke gestiftet. Nach
Vereinigung dieser Stiftungen mit älterem
Besitz wird das Museum Bilder besitzen von
Paul Baum, Gurt Hermann, L. von Hofmann
1 Über die wichtigsten Gegenstände der Samm-
lung unterrichtet das Heft »Hauptwerke das Mu-
seums im Jubiläumsbau der Universität Mar-
burg« von A. Kippenberger. Verlag des Kunst-
geschichtlichen Seminars Marburg. 1927. M.2.—.
56 Der Cicerone, Jahrg. XIX, Heft 17
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