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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 1
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Goebel, Heinrich: Die gestickten Wandteppiche des Klosters Wienhausen: Ausstellung Hinrichsen-Lindpaintner
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0039
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her sowohl im Wirk- als auch im Stickteppich einer starken Beliebtheit. Das
Thema ist abwechslungsreich, es bietet zudem dem Zeichner eine glänzende
Gelegenheit mit wenigen Personen Mensch und Fabeltier in spannende Hand-
lungen zu verflechten. Marie Schuette, die in ihrem jüngst erschienenen Werke
die Stickereien von Wienhausen und Lüne eingehend und gründlich bespricht
und durch eine Reihe ausgezeichneter Abbildungen erläutert, wird recht haben,
wenn sie annimmt, daß dem Zeichner sowohl die Fassung des Gottfried von
Straßburg als auch die Erzählung des Eilhard von Oberg zur Verfügung stan-
den. Wer war der Entwerfer? Zweifellos ein Künstler von mehr als durch-
schnittlichem Können, der sicher einer berufsmäßig betriebenen Patronenmaler-
werkstatt entstammte, der sich kaum in klösterlicher Stille zu dem ausdrucks-
vollen geschlossenen Stil durchrang. Wo der Ort der Tätigkeit des Künstlers
zu suchen ist, steht dahin, eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht für Braun-
schweig.
Der Teppich gliedert sich in vier Wappen- und drei Erzählungsstreifen. Von
der ursprünglichen Bordüre sind lediglich die beiden Seitenleisten erhalten ge-
blieben. Die Streifen werden durch schmale Schriftbänder getrennt, die in
niedersächsischer Mundart die Handlung glossieren. Die Schwere der Wappen-
schilder wird gemildert durch die Kleeblattbogen mit den kleinen Säulchen,
die die heraldischen Bilder rahmen und zu einem einheitlichen Ornamente
schließen. Den Reigen der Hoheitszeichen eröffnet das Schild des Reiches, un-
mittelbar folgt Braunschweig} Frankreich, Böhmen, Griechenland, zwei phan-
tastische Wappen schließen sich an. Für die Provenienz des Teppichs erscheinen
wesentlich die Hoheitszeichen der Landesberg, des Fürstentums Lüneburg, der
Grafen von Brockhusen und der Grafschaft Wernigerode.
Der Gang der Erzählung läuft in ununterbrochener Reihe} die Figurengruppen
heben sich plastisch von dem blauen Hintergrund, während die Wappenschilder,
der Farbenstimmung entsprechend, abwechselnd vor einen roten, grünen und
gelben Fond gestellt sind. Die Legende beginnt mit der Unterredung Tristans
und König Markes. Hinter dem sitzenden Fürsten stehen zwei Herren mit aus-
drucksvoll sprechenden Gesichtern. Die Gebärden sind auf die kürzeste, knappste
Formel gebracht. Wenn auch dem Zeichner des Teppichs das Hauptverdienst
gebührt, ist der Stickerin, die in dem verhältnismäßig kleinen Maßstab die
Köpfe herausarbeitete, zweifelsohne ein recht gründliches handwerkliches Kön-
nen, durch Jahrzehnte geschult, zuzusprechen. Held Tristan reitet auf rotem
Roß zum Kampfe gegen Marhold, ein Boot trägt den Jüngling und sein ge-
treues Pferd über die See, die Recken sprengen mit den Turnierlanzen gegen-
einander an, der Kampf findet im Fußgefecht sein Ende, Tristan trifft mit
breitem Schwert des Gegners Haupt, wieder führt ihn der Nachen in König
Markes Schloß, hoch zu Roß erscheint er vor der Burg. Marke thront vor
einem Behang, der mit den aneinandergereihten Kreismotiven an die frühen
Wirkteppiche »ä compas« anklingt} der kranke Tristan bittet um Urlaub, um
in Irland bei der Königin Isolde Genesung zu suchen. Der leidende Held liegt
im Boot, trauernd bleibt Marke zurück. Als zwergenhaft verkrüppelter Fiedler
(Tantris) naht Tristan der Burg Isoldes} Brangäne, die Getreue der Königin,
zieht den seltsamen Gast über die Zinnen der Mauer. Wieder sind die Ge-
stalten des Tantris und der zupackenden Brangäne von ausdrucks- und kraft-
 
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