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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 20.1928

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Heft 14
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Winkler, Friedrich: Ein Gesamtkatalog der Dürerschen Werke: Kritik und Abwehr
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https://doi.org/10.11588/diglit.41322#0504
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Buches zweifellos beträchtlich erschweren können, wenn das Urteil über dasselbe nicht schon
vor dem Erscheinen der Rezension festgestanden hätte, wie es wohl überhaupt nicht schwer
ist, sich über dasselbe ein Urteil zu bilden. Es ist außerdem, wie wohl vielerorts empfunden
wird, ein so überraschendes, ja sensationelles Experiment von fleißigen Gelehrten, die sich
einen gewissen Namen gemacht haben, daß ich die bei Tietze nunmehr herrschende Auf-
fassung von wissenschaftlicher Arbeit und sachlicher Kritik aufs entschiedenste abwehren
muß und wohl auch kann, ohne in den Verdacht einer starken Befangenheit zu geraten.
Tietzes machen als erste mit dem Gedanken eines vollständigen Verzeichnisses sämtlicher
Dürerschen Werke in streng chronologischer Anordnung Ernst. Der aufgebotene Apparat,
umfangreiche Literaturzitate bei jeder einzelnen Nummer, genaue chronologische Anord-
nung, Abbildung sämtlicher für echt gehaltenen Werke, neun Register, erweckt den Ein-
druck, daß die Verfasser sich der Verantwortung bewußt waren, die sie mit der Herstellung
eines viele hundert Nummern umfassenden Verzeichnisses sämtlicher Bilder, Holzschnitte,
Stiche, Zeichnungen Dürers, der von jeher im Mittelpunkt des Interesses der deutschen
Kunstforschung stand, übernommen haben. Also ein groß angelegtes, wissenschaftlich über-
aus exaktes und zugleich grundlegendes Unternehmen. Leider erweist sich diese Annahme
schon beim Durchblättern als eine schwere Täuschung. Das Buch ist offenkundig eine
äußerst eilige, viel zu früh abgeschlossene Arbeit, die den Verfassern wahrscheinlich nicht
mehr als ein bis zwei Jahre gekostet hat, während das Zehnfache der Zeit nicht zu viel
gewesen wäre. Vermutlich hat der spät gefaßte Entschluß, zum Dürer-Jahr mit einem
Katalog sämtlicher Werke zur Stelle zu sein, einen überaus verhängnisvollen Einfluß aus-
geübt.
Blättert man in dem Bande, so bemerkt man bald, daß die chronologische Anordnung, .die
Kritik der Einzelheiten, der Stil nicht selten geradezu absurd sind. Ich kann beim besten
Willen keinen anderen Ausdruck für die folgenden Tatsachen finden, die nur eine ganz
eng begrenzte Auswahl darstellen. Die chronologische Anordnung ist so exakt, daß auf
einen Holzschnitt der Großen Passion die aquarellierte Ansicht von Nürnberg, fünf Blätter
der Apokalypse, zwei Stiche, zwei Bilder, ein Holzschnitt, ein Blatt der Apokalypse, ein Holz-
schnitt usw. folgen. Die Blätter des Marienlebens stehen an neun verschiedenen Stellen.
Dazwischen ist wieder jede erdenkliche Gattung von Bildwerken vertreten. Dabei ist einer
der spätesten Holzschnitte des Marienlebens an den Anfang, einer der frühesten der Großen
Passion ans Ende gesetzt. Die völlig eindeutig lesbare Datierung einer Vorzeichnung zum
Marienleben wird als unleserlich bezeichnet. Einige Stiche mit ausgereiftem Dürer-Mono-
gramm werden sensationell an die Anfänge Dürerscher Sticharbeit umdatiert mit der Be-
hauptung, das Monogramm sei später nachgestochen, was ohne Beispiel bei Dürer ist. Die
zahlreichen Gegengründe, die sich sofort bieten, werden überhaupt nicht in Betracht ge-
zogen. Wird die Anordnung schon durch die bildliche Wiedergabe, wo alles wie Kraut
und Rüben durcheinander steht, in ihrer Widerspruchsfülle leicht erkannt, so könnte man
sich mit dieser hyperkritischen, falsch verstandenen Stilkritik als einer nicht vereinzelten
Erscheinung abfinden, wenn sie nicht sogar zu schweren Mißgriffen in bezug auf die
Authentizität der Werke geführt hätte. Es ist wirklich nicht schwer, ein Verzeichnis ,,A“,
das nur ganz unzweifelhafte Werke Dürers enthält, zusammenzubringen. Tietzes haben es
fertiggebracht, ein noch nie als Dürer verteidigtes Werk wie die Lützschenaer Fürlegerin
und die lahme Pause nach dem Stich des ,,sol justitiae“ hereinzubringen, bei der man
noch die Griffelspuren der Pause sehen kann. Das Lützschenaer Bild, die einzige Bereiche-
rung des A-Ivataloges durch Tietzes und, wenn zutreffend, eine überaus wichtige, wird
fünfmal erwähnt. Niemals wird gesagt, warum Tietzes es für ein Original halten! Nach-
träglich hat IJ. Tietze allerdings gemerkt, daß die Aufnahme ein schwerer Mißgriff war.
Im „Kunstwanderer“ zieht er (Juni 1928) sein Votum zurück mit der Entschuldigung, daß
„in der Isolierung der Privatsammlung“ das Bild ihm als eine originale Arbeit erschien.
Als ob das für den Verfasser des ersten kritischen Verzeichnisses der Werke Dürers eine
Entschuldigung wäre! Nicht genug damit. Tietze schweigt nun nicht etwa fein still. Nein,
er weiß dabei noch einen Vorteil für sich herauszuschlagen! Er besitzt die Stirn, die
Richtigstellung dieses groben Mißgriffs sich als Verdienst anzurechnen! Sie wird für ihn
nämlich die Gelegenheit, „als erster unser Buch öffentlich einer Unrichtigkeit zu zeihen“.
Ich bin etwas von meinem Wege abgekommen. Ebenso überraschend wie zahlreiche Ab-

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