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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 12
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0370
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nik auch unfreieren Begabungen Yortreffliches ge-
lingt. Bemerkenswerte Beiträge drängen sich. Als
neue Erscheinungen von reizvollem Gepräge seien
Simsch, Matzke, Ortner, Josef Steiner, Theo Otto
verzeichnet, an überraschenden Jjeistungen Be-
kannterer die Arbeiten von Fingesten, Glaser, Bütt-
ner, Huth, Jacobi, Zeller angemerkt sowie die Blät-
ter, in denen sich Grosz, Grewenig, Schoff.
Schmidt-Caroll, Teuber, Spiro, Graumann, Cro-
del, Schlichter wieder besonders bestätigen. Auch
die kleine Auswahl plastischer Arbeiten bringt Gu-
tes; feine Köpfe von Milly Steger, Emy Röder,
Strübe, Scheurich. Das lobenswerte Yerfabren, im
Katalog dio Preise anzugeben, läßt eigcntümliche
Unterschiede der Selbsteinschätzung, aber noch
keine hinreichende Bereitschaft erkennen, den tat-
sächlichen Yerhältnissen Rechnung zu tragen.

In der Galerie Flechtheim sieht man neben-
einander fünfzig Porträtdarstellungen ein und der-
selben Frau: fünfzig in Paris lebende Maler und
Rildner haben sich mit den vieldeutigen Zügen der
Schauspielerin Maria Lani auseinandergesetzt.
Es schwächt das Interesse an dieser einzigartigen
Konfrontation von Bonnard bis Ozenfant und von
Bourdelle bis Laurens nicht ab, daß ein ganzer
Teil dieser Bildnissc etwas gelcgentlich wirkt und
daß nicht jedes seinen Yerfasser vollgültig reprä-
sentiert. Der Vergleich der mannigfachen Spiege-
lungen künstlerisch deutender Diktion in dem
einen Antlitz ist um so ergiebiger, als zum minde-
sten Derain, Lhote, Pascin, Friesz, Kramstyck,
Liircat:, van Dongen, Dietz Edzard, Kisling und Des-
piau sich wesentlich zu erkennen gegeben haben.
Chagall hat die Maria Lani als orientalische Mär-
chenprinzessin geschaut, Rouault mit ein paar dik-
ken schwarzen Strichen ihre tragische Großartig-
keit entdeckt. Es sind mit die fesselndsten Inter-
pretationen.

Anschließend zeigt Flechtheim Bronzen und Steine
vonSimonneMarye, stachelf lossige Plattf ische in
ihrer Schwimmbewegung, allzu dekorativ beruhigte
und summierte Tiergestalten, und vor allem über-
lehensgroße exolische Köpfe, deren wulstige
Schwere an die Melancholie Asiens rührt.

Wolfradt

PARISER AUSSTELLUNGEN

Die deutscheAbteilung im Salon desArtists
decorateurs / Romantische Ausstellung im
Pavillon de Marsan / »L’Art Vivant« im
Pigalle Thealer / Französische Einladung
deutscher Architekten

Auf Einladung der »Societe des Artistes decora-
teurs« hat der deutsche Werkbund in der Ausstel-
lung dieser Gesellschaft eine eigene Abteilung ein-
gerichtet. Da Walter Gropius als künstlerischer
Leiter ausersehen wurde, weht hier besonders der
Geist des Dessauer Bauhauses. Zum ersten Male seit
der Ausstellung der Münchner Ivünstler im Jahre
1910 bekommt das französische Publikum ein
deutsches Ensemble zu sehen. Mit großer Sorgfalt

vorbereitet, fällt die Abteilung durch ihre Einheit
um so angenehmer aut’ als im Gegensatz dazu die
Franzosen, durch innere Zwistigkeiten gespalten,
mit großen Lücken und in sehr loser Ordnung er-
scheinen. In ein paar Zeilen sei die Rückwirkung
dieses großen Ereignisses auf die meisten französi-
schen Künstler ganz objektiv zu schildern ver-
sucht.

Der Eindruck der deutschen Abteilung ist zweifel-
los sehr stark. Die Klarheit der Ziele, die schöpfe-
rische Kraft, die Echtheit des Materials werden im
allgemeinen anerkannt. Jeder gesteht, daß die
noch tastenden Versuche einiger unserer Künstler,
die unter clie Corbusiers Einfluß stehen, bei den
Deutschen bereits zu einer Vollkommenheit und
im Sinne des Praktischen zu einer Vollendung ge-
langt sind, die nur in langjähriger Praxis und
entsprechender Zielriclitung möglich waren. Wird
aber diese aufrichtige Bewunderung in der Folge
einen Einfluß haben, ähnlich dem der Ausstellung
im Jahre 1910? Die Zukunft wird uns dariiber be-
leliren, ich für mein Teil glaube nicht recht daran.
Erstens ist der Boden in den bciden Ländern nicht
derselbe. Die französischen »Decorateurs« (schon
das Wort wäre dem Bauhaus widerwärtig) arbeiten
fiir eine außerordentlich dünne Schicht reicher
Leute. Der französische Konservatismus bleibt in
den rnäßig bemittelten Kreisen sehr stark: die Ver-
suche, die nach dem Kriege gemacht wurden, bil-
lige Serienmöbel zu schaffen, scheiterten kläglich,
und man kann feststellen, daß das Streben, das
Leben industriell zu gestalten, vor zwei oder drei
Jahren größerem Erfolg begegnete als heute. Doch
liegt der Kern des Verkennens noch viel tiefer als
im rein ökonomischcn Moment: der ganze Geist
der Ausstellung bleibt den Franzosen im allge-
meinen wegen der Verneinung der Individualität
fremd. Und den Frauen in dieser Hinsicht noch
mehr als den Männern. In einem reizcnden Buch
hat Bruno Tant die Wichtigkeit der Frau für das
Wohnungsproblem anerkannt. Aber er richtet sich
besonders an die Ilausfrau. In Frankreich müßte
cr wohl auch die ästlietische Seite der Frage be-
handeln. Die Französin sieht die Wohnung sozu-
sagen als Verlängerung des Kleides, und wie sie
ihrem Kleide eine persönliche Prägung gibt, so
iiberträgt sie diesen Wunsch auf die ganze Woli-
nung. Vor der Kälte, vor der Auswechselbarkeit.
der Wohnzimmer der deutschen Abteilung ver-
harrt sie erschrocken.

Ich weiß wohl: Man wird antworten, daß diese
Eintönigkeit des Lebens keine Geschmackssache,
sondern die unumgängliche Folge der sozial-indu-
striellen Entwicklung sei. Das wird so laut und so
stark betont, daß man nicht mehr zu prüfen wagt,
ob es richtig ist oder nicht, ob die Minimalbedin-
gungen des individuellen Lebens keinen Hunger
nach Luxus für das kollektive Leben (Klubs, Re-
stauranls, Kinos, Theater) zeiligen werden —
Amerikas Beispiel läßt in dieser Hinsicht einen

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