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Clemen, Paul
Die gotischen Monumentalmalereien der Rheinlande: mit Beiträgen von Burkhard Frhrn. v. Lepel und Margot Remy (Text) — Düsseldorf, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.28108#0052
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Entwicklung, wie noch emmal hier wiederholt sei, gegenüber den ursprüng-
lichen zentralfranzösischen Anregungen, die England und dieses niederlän-
disch-mederrheimsche Gebiet so ähnlich erscheinen läßt. Wenn man un-
mittelbare Parallelen für St. Cäcilia m der enghschen monumentalen Kunst
sucht und die Malereien von Croughton hier zum Vergleich heranzieht, so sind
gewisse allgemeine Ziige des internationalen Stiles beiden Werken gemeinsam,
zumal die seltsame Gestrecktheit der Oberkörper. Wenn man in Siidwest-
deutschland Ausschau hält, so erscheint aber hier die Verbindung mit Ken-
zingen und Reutlingen mindestens so nahe zu liegen wie der Vergleich mit
Croughton und Chalgrove. Gegenüber dem entstellten und stark verfälschten
Werk des Cäcihenmeisters darf man auf ein gleichzeitiges oder um wemge
Jahre später anzusetzendes Werk der Tafelmalerei, das bekannte Triptychon
(Ausschmtt Fig. 78) 1m Museum Wallraf-Richartz (Nr. I) und auf das die-
sem nahestehende Triptychon aus der Sammlung Boisseree des Münchener
Nationalmuseums (Ausschmtt Fig. 48) mit der Elfenbeinmadonna verweisen.
Hier kommt schon etwas von einem nun für die kölnische Malerei immer mehr
zum Charakteristikum werdenden Sentiment m die Figuren hinein, das sie
beherrscht, streckt, ausdörrt und auch schwächt, und das lmmer mehr in dieser
stärkeren Empfindsamkeit einen Gegensatz zu der englischen und englisch
beeinflußten Malerei bildet.

Das neue Stilgesetz der jungen Gotik findet doch m den Jahrzehnten um
das Jahr 1300 m Deutschland eine ganz verschiedene Beantwortung und
Lösung. Von der selbständigen Kraft der gotischen Formengebung um die
Jahrhundertwende innerhalb des deutschen Kunstkreises gibt vor allem das
einzigartige Denkmal deutscher Malkunst Kenntnis, das das Erbe einer noch
aus dem 13. Jh. stammenden Bildtradition zusammenfaßt und sie m eine
ganz freie, aber ausgesprochen oberrheimsche Form des neuen Weltstiles
hineingießt, die Manessische Liederhandschrift in Heidelberg, die wir uns in
dem Hauptstock von 110 Bildern zum Teil auf älteren Vorlagen beruhend
unter einheitlicher künstlenscher Redaktion m den Jahren vor und nach 1300
entstanden denken dürfen. Weder Frankreich noch England haben aus dem
profanen Kunstkreise ein Gesamtwerk von solcher vorbildlichen Bedeutung in dieser Zeit aufzuweisen. Der Versuch, den
vor 20 Jahren Ench Stange machte, die Mmiaturen unmittelbar abzuleiten von französischen Vorbildern, Illustrationen aus
dem Rosenroman, beruhte auf einer lrrigen Voraussetzung: jene angebhch französischen Vorlagen haben sich als eine
einfache Fälschung erwiesen. Der ältere Verwandte lst dagegen die Weingartner Liederhandschrift m Stuttgart, die deuthch
die frühere Stilstufe der Komposition, nicht eine Vereinfachung erkennen läßt. Die Heidelberger wie die Stuttgarter Hand-
schnft gehen wohl auf eine gemeinsame ältere Vorlage zurück. Im Aufbau des Bildes, lm Formenkanon, m den dekora-
tiven Mitteln, zuletzt m der Techmk und m der Farbengebung scheidet sich dieses großartige Werk durchaus von der zarten
dünnen Behandlung, von der Zierhchkeit und der Blässe der gleichzeitigen französischen Werke. Wenn Artur Haseloff die
Formensprache „durchweg viel gröber und derber nennt als sie von den französischen Mimaturisten gehandhabt wurde ,
so darf man auch darauf hinweisen, daß hier kein Fein- und Kleinmaler, sondern ein Monumentalkünstler die Leitung
hat123. Ohne weiteres kann man sich die Bilder jener Serie vergrößert als Wandmalereien oder Vorlagen für Wandbehänge

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Miihlheim am Eis (Pfalz), Pfarrkirche.

Darstellung 1m Tempel.

12,$Die Literatur über die große Heidelberger Liederhandscbrift ist jetzt erschöpfend zusammengestellt in dem Anhang zu dem Textband der im Inselverlag in Leipzig er-
schienenen Ausgabe der Manessischen Liederhandschrift. Die Einleitungen von Rudolf Sillip, Friedrich Panzer, Artur Haseloff begegnen sich in ihren Schlüssen. Hier
sei von der früheren Literatur nur auf die eingehenden Ausführungen von Adolf von Oechelhäuser, Die große Heidelberger Liederhandschrift: Die Miniaturen der Um-
versitätsbibhothek zu Heidelberg 1895, II, S. 90—420, hingewiesen. Die Arbeit von Erich Stange, Die Miniaturen der Manessischen Liederhandschrift und ihr Kunstkreis,
Diss. Königsberg 1909, gab, wenn auch in dem einen Hauptpunkte von irrigen Voraussetzungen ausgehend, wertvolle Analysen und Hinweise. — Derselbe, Manesse-
Codex und Rosenroman: Anzeiger für schweizerische Altertumskunde, NF. XI, 1909, S. 318. Gegen ihn Richard Stettiner, Das Webebild in der Manesse-Handschrift und
seine angebhche Vorlage, 1911, und A. Kuhn, Die Spetzschen Mmiaturen: Anzeiger für schweizerische Altertumskunde, NF. XII, 1910, S. 226. Die Weingartner Lieder-
handschrift publiziert in der Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart V, 1845 und in farbigem Faksimile von Karl Loeffler, Stuttgart 1927. Loeffler plädiert m
dem Begleitwort S. 15 aus philologischen wie kunstgeschichthchen Gründen für Konstanz als Ort der Entstehung. Zu vergleichen noch Fritz Traugott Schulz, Typisches
der großen Heidelberger Liederhandschrift und verwandter Handschriften nach Wort und Bild, Diss. Göttingen, 1901.

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