Der Stil des Ramersdorfer Zyklus zeigt, soweit wir aus den verschiedenen
Pausen und Kopien die originale kiinstlerische Handschrift zu rekonstruieren
vermögen, einen deutlichen Schritt über den Charakter der Malereien von Brau-
weiler wie von St. Cäciha in Köln hinaus. Die monumentale starre Haltung, wie
sie noch m den älteren Malereien von St. Andreas m Köln nachkhngt, ist ganz
geschwunden; zu dem rassig Gestreckten des Meisters von St. Cäcilia tritt ein
neues Element einer weichen Anmut und einer fließenden Liebhchkeit. Die
Figuren zeigen den neuen frühgotischen Kanon, schlank, biegsam, schmal in den
Hüften und Schultern, dieArme lang und dünn, die Köpfe mit dem konventio-
nellen Oval, die Haare m die charakteristischen gewickelten Locken gelegt (m
den alten Kopien gelegenthch mißverstanden). Der Duktus der Gewandung
ist in den Ubersetzungen vielleicht am wemgsten getreu durchgekommen, doch
lassen die Wiedergaben erkennen, daß die Gestalten fast sämtlich die in langen
Linien bis auf den Boden fließenden oder stürzenden Faltenmotive aufweisen,
so vor allem bei den musizierenden Engeln und den stehenden Einzelfiguren,
und daß die kalhgraphischen Schnörkel der schön geschwungenen Gewand-
säume bei hoher und enger Raffung hier noch nicht aufgenommen sind.
Bei der Frage nach der zeitlichen Ansetzung kann man nur 1m allge-
meinen von der Stilstufe unseres Zyklus sprechen. Die Gewölbemalereien
stehen, wenn man eine gerade stufenförmige Entwicklungslinie sich denken
würde, hinter den Gemälden von St. Cäcilia; sie gehören aber zugleich einer anderen
zeichnerischen und malerischen Richtung an, die sie außerhalb der Kölner Entwicklung
stellt, in der stärker der von Paris und Nordfrankreich unmittelbar ausgehende Einfluß
nachwirkt. Die Datierung um 1300 oder in den Anfang des 14. Jh. dürfte das Richtige
treffen. In dem Stil der Figuren wie in dem dekorativen System und den einzelnen
Ornamenten herrscht nun aber ein —- auch m den Kopien noch erkennbarer — Unter-
schied zwischen dem Schmuck der Gewölbe und den Dekorationen der Wände6. Die
Ornamentmotive an den Gewölben sind ganz die frühestgotischen wie in Sinzig, Brau-
weiler oder etwa m dem Rahmen des um 1290 zu datierenden Antependiums aus Kloster
Wennigsen lm Provinzialmuseum zu Hannover7.
Die Aufteilung der Wände m schmale Langbahnen, die architektomsche Einrahmung,
die schlanken Wimperge setzen schon die Vorbilder der Kölner Domchorglasmalereien,
die Einpressung der Kompositionen m das Hochformat die Chorschrankenmalereien lm
Dom voraus. Dem am besten überlieferten Bild der Kreuzabnahme fehlt ganz das federnd Straffe des Meisters von
St. Cäciha; dafür spricht m diesen überschlanken, kraftlos gebeugten Gestalten bei aller bewußter Kultur der Linie, die diese
Biegung fordert, schon das Uberempfindsame der Durchseeltheit der kölmschen Kunst aus der ersten Hälfte und Mitte des
14. Jh. zu uns, die Gruppe erscheint lm Gefühlsgehalt verwandt den beiden Kreuzigungen aus der Minoritenkirche zu Köln
(s. u. Taf. 53, 54), der mächtige Christuskörper, die Großartigkeit des Gesamtumrisses deuten doch wieder auf eine etwas
frühere Stufe hin. So wird man m dem Aufbau der Stilentwicklung des 14. Jh. diese späteren Malereien zeithch nach den
Domchorschrankenmalereien und vor die Malereien der Minoritenkirche zu setzen geneigt sein, etwa nach 1330, wobei
man sich aber klarmachen muß, daß die Chorschrankenmeister eben aus einem ganz anderen Kunstkreis stammten.
lena, Johanna und Maria Jakobi und Johannes XX, I nur Maria Magdalena erscheinen). In dem Ubersichtsblatt Taf. LII, 3 ist auch eme weibliche Figur gezeichnet, die
ein bauchiges Gefäß in beiden Händen hält. Nach der großen Pause, die das Lockenhaupt runder, ohne die auf die Schultern fallenden Strähne zeigt, kann kein Zweifel
sein, daß es sich um den h. Evangelisten Johannes handelt; hier ist auch das ölfaß mit seinen Dauben und Reifen deutlich erkennbar (Fig. 182).
6 Schnaase versetzt, a. a. 0. VI, S. 382, 384, die Gewölbemalereien m die ersten Jahre des 14. Jh.: ,,Die Heihgengestalten an den Wänden und die Maiereien an den anschei-
nend um diese Zeit veränderten Nebenkapellen des Chores sind wieder bedeutend und augenscheinlich etwas später und scheinen der Mitte des Jahrhunderts anzugehören.“
Aus m Weerth, a. a. O. S. 21, findet, es sei der Geist des 13. Jh., der hier in leichten Formen ein liebliches Kunstwerk geschaffen, die Gewölbemalereien stammen nach
ihm vom Schluß des 13. Jh.; aus der ersten Hälfte des 14. Jh. die statuarischen Figuren derWände; um mindestens mehrere Jahrzehnte später, nach der Mitte des 14. Jh.,
seien die Bilder der Seitenchöre, vielleicht auch noch einzelne Gestalten der Wände entstanden. Die breiten Gewänder der hh. Katharina und Elisabeth ließen vermuten,
daß auch diese ganz außerhalb des Zyklus der biblischen Darstellungen bleibenden beiden Figuren der Decke Zufügungen der späteren Periode seien. So auch Janitschek,
Gesch. der deutschen Malerei, S. 195, ,,in die erste Zeit des 14. Jh.“ Er mmmt an, daß, als um die Mitte des 14. Jh. die Nebenkapellen des Chors eine eingreifende Re-
stauration erfuhren, dieseerstdamalsihrenmalerischenSchmuckerhielten, „undzwar jeein Heiligenpaarunddarüber(darunter)dieSchlußereignissederLeidensgeschichteChristi.“
7 Vgl. Dorner, Das Antependium: Amtl. Benchte d. Berliner Museen 1926, Heft 4, S. 53. — Jahrbuch des Provinzialmuseums zu Hannover Nr. II, 1926, Abb. I. — V. C.
Habicht, Maria, Taf. 76.
Fig. 182. Ramersdorf, Deutschordenskapelle.
Johanneskopf von der Siidwand.
154
Pausen und Kopien die originale kiinstlerische Handschrift zu rekonstruieren
vermögen, einen deutlichen Schritt über den Charakter der Malereien von Brau-
weiler wie von St. Cäciha in Köln hinaus. Die monumentale starre Haltung, wie
sie noch m den älteren Malereien von St. Andreas m Köln nachkhngt, ist ganz
geschwunden; zu dem rassig Gestreckten des Meisters von St. Cäcilia tritt ein
neues Element einer weichen Anmut und einer fließenden Liebhchkeit. Die
Figuren zeigen den neuen frühgotischen Kanon, schlank, biegsam, schmal in den
Hüften und Schultern, dieArme lang und dünn, die Köpfe mit dem konventio-
nellen Oval, die Haare m die charakteristischen gewickelten Locken gelegt (m
den alten Kopien gelegenthch mißverstanden). Der Duktus der Gewandung
ist in den Ubersetzungen vielleicht am wemgsten getreu durchgekommen, doch
lassen die Wiedergaben erkennen, daß die Gestalten fast sämtlich die in langen
Linien bis auf den Boden fließenden oder stürzenden Faltenmotive aufweisen,
so vor allem bei den musizierenden Engeln und den stehenden Einzelfiguren,
und daß die kalhgraphischen Schnörkel der schön geschwungenen Gewand-
säume bei hoher und enger Raffung hier noch nicht aufgenommen sind.
Bei der Frage nach der zeitlichen Ansetzung kann man nur 1m allge-
meinen von der Stilstufe unseres Zyklus sprechen. Die Gewölbemalereien
stehen, wenn man eine gerade stufenförmige Entwicklungslinie sich denken
würde, hinter den Gemälden von St. Cäcilia; sie gehören aber zugleich einer anderen
zeichnerischen und malerischen Richtung an, die sie außerhalb der Kölner Entwicklung
stellt, in der stärker der von Paris und Nordfrankreich unmittelbar ausgehende Einfluß
nachwirkt. Die Datierung um 1300 oder in den Anfang des 14. Jh. dürfte das Richtige
treffen. In dem Stil der Figuren wie in dem dekorativen System und den einzelnen
Ornamenten herrscht nun aber ein —- auch m den Kopien noch erkennbarer — Unter-
schied zwischen dem Schmuck der Gewölbe und den Dekorationen der Wände6. Die
Ornamentmotive an den Gewölben sind ganz die frühestgotischen wie in Sinzig, Brau-
weiler oder etwa m dem Rahmen des um 1290 zu datierenden Antependiums aus Kloster
Wennigsen lm Provinzialmuseum zu Hannover7.
Die Aufteilung der Wände m schmale Langbahnen, die architektomsche Einrahmung,
die schlanken Wimperge setzen schon die Vorbilder der Kölner Domchorglasmalereien,
die Einpressung der Kompositionen m das Hochformat die Chorschrankenmalereien lm
Dom voraus. Dem am besten überlieferten Bild der Kreuzabnahme fehlt ganz das federnd Straffe des Meisters von
St. Cäciha; dafür spricht m diesen überschlanken, kraftlos gebeugten Gestalten bei aller bewußter Kultur der Linie, die diese
Biegung fordert, schon das Uberempfindsame der Durchseeltheit der kölmschen Kunst aus der ersten Hälfte und Mitte des
14. Jh. zu uns, die Gruppe erscheint lm Gefühlsgehalt verwandt den beiden Kreuzigungen aus der Minoritenkirche zu Köln
(s. u. Taf. 53, 54), der mächtige Christuskörper, die Großartigkeit des Gesamtumrisses deuten doch wieder auf eine etwas
frühere Stufe hin. So wird man m dem Aufbau der Stilentwicklung des 14. Jh. diese späteren Malereien zeithch nach den
Domchorschrankenmalereien und vor die Malereien der Minoritenkirche zu setzen geneigt sein, etwa nach 1330, wobei
man sich aber klarmachen muß, daß die Chorschrankenmeister eben aus einem ganz anderen Kunstkreis stammten.
lena, Johanna und Maria Jakobi und Johannes XX, I nur Maria Magdalena erscheinen). In dem Ubersichtsblatt Taf. LII, 3 ist auch eme weibliche Figur gezeichnet, die
ein bauchiges Gefäß in beiden Händen hält. Nach der großen Pause, die das Lockenhaupt runder, ohne die auf die Schultern fallenden Strähne zeigt, kann kein Zweifel
sein, daß es sich um den h. Evangelisten Johannes handelt; hier ist auch das ölfaß mit seinen Dauben und Reifen deutlich erkennbar (Fig. 182).
6 Schnaase versetzt, a. a. 0. VI, S. 382, 384, die Gewölbemalereien m die ersten Jahre des 14. Jh.: ,,Die Heihgengestalten an den Wänden und die Maiereien an den anschei-
nend um diese Zeit veränderten Nebenkapellen des Chores sind wieder bedeutend und augenscheinlich etwas später und scheinen der Mitte des Jahrhunderts anzugehören.“
Aus m Weerth, a. a. O. S. 21, findet, es sei der Geist des 13. Jh., der hier in leichten Formen ein liebliches Kunstwerk geschaffen, die Gewölbemalereien stammen nach
ihm vom Schluß des 13. Jh.; aus der ersten Hälfte des 14. Jh. die statuarischen Figuren derWände; um mindestens mehrere Jahrzehnte später, nach der Mitte des 14. Jh.,
seien die Bilder der Seitenchöre, vielleicht auch noch einzelne Gestalten der Wände entstanden. Die breiten Gewänder der hh. Katharina und Elisabeth ließen vermuten,
daß auch diese ganz außerhalb des Zyklus der biblischen Darstellungen bleibenden beiden Figuren der Decke Zufügungen der späteren Periode seien. So auch Janitschek,
Gesch. der deutschen Malerei, S. 195, ,,in die erste Zeit des 14. Jh.“ Er mmmt an, daß, als um die Mitte des 14. Jh. die Nebenkapellen des Chors eine eingreifende Re-
stauration erfuhren, dieseerstdamalsihrenmalerischenSchmuckerhielten, „undzwar jeein Heiligenpaarunddarüber(darunter)dieSchlußereignissederLeidensgeschichteChristi.“
7 Vgl. Dorner, Das Antependium: Amtl. Benchte d. Berliner Museen 1926, Heft 4, S. 53. — Jahrbuch des Provinzialmuseums zu Hannover Nr. II, 1926, Abb. I. — V. C.
Habicht, Maria, Taf. 76.
Fig. 182. Ramersdorf, Deutschordenskapelle.
Johanneskopf von der Siidwand.
154