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GUPTA-ZEIT
natürlich auf Gandhara zurück. Auffallend, wie stark sie mit ihrer plumpen
Massigkeit und mit ihrem harten Gestus aus dem Rahmen fällt.*
4.
Die eigentliche Blütezeit der indischen Kunst dürfte im vierten nachchrist-
lichen Jahrhundert mit der Tronbesteigung der Gupta einsetzen. Samu-
dragupta, der zweite Gupta-Kaiser (ca. 330 bis ca. 375) ist die dritte ein-
drucksvolle indische Herrscherpersönlichkeit, die durch ihr großartiges Wirken
auf allen Gebieten tiefe Spuren in der indischen Geschichte hinterlassen hat.
Sein Reich hatte die größte Ausdehnung seit Asoka. In den ersten Jahr-
hunderten scheint sich, wenn man aus den erhaltenen Denkmälern schließen
darf, vor allem im Gebiete der Gupta selbst, also in der großen nördlichen
'Tiefebene, reiches künstlerisches Leben zu regen. Schließlich wird aber ganz
Indien ergriffen, und der Strom schöpferischer Produktion setzt sich über die
Kolonien bis zum fernen Java fort. Die muhamedanische Eroberung erst,
die seit dem 8. Jahrhundert in den verschiedenen Gegenden zu verschiedenen
Zeitpunkten und mit wechselnder Schärfe vor sich geht und im 14. Jahrhundert
ihre größte Ausdehnung erlangt, macht diesem glänzenden Zeitalter ein Ende.
Südindien allein nahm eine Ausnahmestellung ein. Denn dort glückte es den
Muhamedanern niemals für längere Zeit festen Fuß zu fassen. So erfreute
es sich einer nicht in den Wurzeln unterbrochenen Kunsttradition bis zur
Besitzergreifung durch die europäischen Eindringlinge.
Sonderbar - man fängt erst jetzt an zu verstehen, daß nicht die Kunst
von Amarävati oder gar die von Gandhära, wie man früher oft glaubte,
Indien auf der Höhe seiner Schöpferkraft zeigt, sondern die Periode, die die
Herrschaft der Gupta einleitet. Die Kushän-Zeit war nur eine Ära des Über-
ganges von der älteren schlichten wirklichkeitsverbundenen Kunst zu dem
hinreißenden Schwung der Blütezeit. Für den Literarhistoriker stand es schon
lange fest, daß das vierte Jahrhundert einen Wendepunkt bedeutet. Aber es
galt ja das Dogma, daß der Inder wohl Dichter und Denker, doch nie Bildner
gewesen sei. Die Gupta-Zeit kennzeichnet sich vor allem als eine Renaissance
des Brahmanismus. Das Sanskrit, die heilige Sprache der Brahmanen, tritt
in der Literatur immer mehr an die Stelle der Landessprachen (Präkrit). Viele
Puränas, also die wichtigsten heiligen Schriften des neueren Brahmanismus,
* Jos. Burgess, The Buddhist Stupas of Amäravati and Jaggayyapeta 1887.
GUPTA-ZEIT
natürlich auf Gandhara zurück. Auffallend, wie stark sie mit ihrer plumpen
Massigkeit und mit ihrem harten Gestus aus dem Rahmen fällt.*
4.
Die eigentliche Blütezeit der indischen Kunst dürfte im vierten nachchrist-
lichen Jahrhundert mit der Tronbesteigung der Gupta einsetzen. Samu-
dragupta, der zweite Gupta-Kaiser (ca. 330 bis ca. 375) ist die dritte ein-
drucksvolle indische Herrscherpersönlichkeit, die durch ihr großartiges Wirken
auf allen Gebieten tiefe Spuren in der indischen Geschichte hinterlassen hat.
Sein Reich hatte die größte Ausdehnung seit Asoka. In den ersten Jahr-
hunderten scheint sich, wenn man aus den erhaltenen Denkmälern schließen
darf, vor allem im Gebiete der Gupta selbst, also in der großen nördlichen
'Tiefebene, reiches künstlerisches Leben zu regen. Schließlich wird aber ganz
Indien ergriffen, und der Strom schöpferischer Produktion setzt sich über die
Kolonien bis zum fernen Java fort. Die muhamedanische Eroberung erst,
die seit dem 8. Jahrhundert in den verschiedenen Gegenden zu verschiedenen
Zeitpunkten und mit wechselnder Schärfe vor sich geht und im 14. Jahrhundert
ihre größte Ausdehnung erlangt, macht diesem glänzenden Zeitalter ein Ende.
Südindien allein nahm eine Ausnahmestellung ein. Denn dort glückte es den
Muhamedanern niemals für längere Zeit festen Fuß zu fassen. So erfreute
es sich einer nicht in den Wurzeln unterbrochenen Kunsttradition bis zur
Besitzergreifung durch die europäischen Eindringlinge.
Sonderbar - man fängt erst jetzt an zu verstehen, daß nicht die Kunst
von Amarävati oder gar die von Gandhära, wie man früher oft glaubte,
Indien auf der Höhe seiner Schöpferkraft zeigt, sondern die Periode, die die
Herrschaft der Gupta einleitet. Die Kushän-Zeit war nur eine Ära des Über-
ganges von der älteren schlichten wirklichkeitsverbundenen Kunst zu dem
hinreißenden Schwung der Blütezeit. Für den Literarhistoriker stand es schon
lange fest, daß das vierte Jahrhundert einen Wendepunkt bedeutet. Aber es
galt ja das Dogma, daß der Inder wohl Dichter und Denker, doch nie Bildner
gewesen sei. Die Gupta-Zeit kennzeichnet sich vor allem als eine Renaissance
des Brahmanismus. Das Sanskrit, die heilige Sprache der Brahmanen, tritt
in der Literatur immer mehr an die Stelle der Landessprachen (Präkrit). Viele
Puränas, also die wichtigsten heiligen Schriften des neueren Brahmanismus,
* Jos. Burgess, The Buddhist Stupas of Amäravati and Jaggayyapeta 1887.