V. Die helleniſtiſche und die römiſche Runſt
Viertes Kapitel.
die helleniſtiſche und die römiſche Kunſt.
Das 4. Jahrhundert, das im korinthiſchen Bauſtil bereits die Dekora-
tion über die Tektonik ſtellt, bezeichnet auch in den anderen Künſten
den Punkt, an dem das Maleriſch⸗Bewegte über die ruhigen, klaren For-
men die Oberhand gewinnt. Unmerkbar freilich vollzieht ſich der Uber-
gang. Skopas und Praxiteles, die Meiſter der Zeit, ziehen eigentlich
nur die Folgerungen aus den Reſultaten der vorhergehenden Epoche.
Sie führen die beiden Möglichkeiten des Alffektes weiter, Skopas die
leidenſchaftliche Bewegung, Praxiteles die Ruhe. Aber ihr Künſtlertum
iſt bewußter, eigenwilliger, ſie ſind individueller, ordnen ihr Werk nicht
mehr dem Bau unter, und das führt ſie, wie viele nach ihnen, bis an
die Grenze des Virtuoſentums. Es iſt kein Zufall, daß die intereſſanteſten
Darſtellungen aus dem Kreiſe des Skopas ſeine flmazonenkämpfe ſind,
Reliefs, die die uflöſung der Fläche bis an den Beginn der Zerſetzung
treiben (Abb. 24). hier ſprechen die lffekte am ſtärkſten; zu dem mus-
kulöſen Körper des Mannes ſind die weicheren Formen der Frau ein
künſtleriſcher Gegenſatz, der zugleich das Mitleid mit der Schwächeren
bei dem Betrachter bedingt. So wird die Kraft des Mannes bis zur Ro-
heit geſteigert, der Körper der lmazone zum Träger weicher Schön-
heit gemacht. Eine ſolche uffaſſung des Themas iſt erſt jetzt möglich.
Noch für Poluklet iſt die ſtarke Schönheit der mazone ebenſo Träger
der Kraft wie der Körper des Jünglings. Und dieſes Suchen nach der
Schönheit des Zarten wird in Praxiteles das zweite Streben der eit.
lus ihm kann man verſtehen, warum all die Götter, die früher reife
Männer waren, wie etwa hermes oder Dionnſos, jezt als Jünglinge
dargeſtellt werden, die Kraft ſtarken Stehens jetzt der rund, faſt weib-
lich ausgebogenen hüfte über läſſig ſtehenden Beinen, die große Ruhe
des Geſichts weicher Süße Plaz macht und die nackte Frau nun höchſte
ufgabe der Kunſt wird. Praxiteles wagt hier noch nicht alles. Er
muß für die Nacktheit noch nach einer Begründung ſuchen und läßt
ſeine knidiſche lphrodite eben das Gewand ablegen, um ins Bad zu
ſteigen. Aber von ihm ab wird die nackte Schönheit der Frau Selbſt-
zweck. Es tritt eine Verweichlichung ein, die ſich auf den Grabſtelen
in faſt ſchon ſentimentalen lbſchiedsſzenen äußert und als erſter Vor-
läufer des Realismus eine Genrekunſt entwickelt, die beſonders in den
Viertes Kapitel.
die helleniſtiſche und die römiſche Kunſt.
Das 4. Jahrhundert, das im korinthiſchen Bauſtil bereits die Dekora-
tion über die Tektonik ſtellt, bezeichnet auch in den anderen Künſten
den Punkt, an dem das Maleriſch⸗Bewegte über die ruhigen, klaren For-
men die Oberhand gewinnt. Unmerkbar freilich vollzieht ſich der Uber-
gang. Skopas und Praxiteles, die Meiſter der Zeit, ziehen eigentlich
nur die Folgerungen aus den Reſultaten der vorhergehenden Epoche.
Sie führen die beiden Möglichkeiten des Alffektes weiter, Skopas die
leidenſchaftliche Bewegung, Praxiteles die Ruhe. Aber ihr Künſtlertum
iſt bewußter, eigenwilliger, ſie ſind individueller, ordnen ihr Werk nicht
mehr dem Bau unter, und das führt ſie, wie viele nach ihnen, bis an
die Grenze des Virtuoſentums. Es iſt kein Zufall, daß die intereſſanteſten
Darſtellungen aus dem Kreiſe des Skopas ſeine flmazonenkämpfe ſind,
Reliefs, die die uflöſung der Fläche bis an den Beginn der Zerſetzung
treiben (Abb. 24). hier ſprechen die lffekte am ſtärkſten; zu dem mus-
kulöſen Körper des Mannes ſind die weicheren Formen der Frau ein
künſtleriſcher Gegenſatz, der zugleich das Mitleid mit der Schwächeren
bei dem Betrachter bedingt. So wird die Kraft des Mannes bis zur Ro-
heit geſteigert, der Körper der lmazone zum Träger weicher Schön-
heit gemacht. Eine ſolche uffaſſung des Themas iſt erſt jetzt möglich.
Noch für Poluklet iſt die ſtarke Schönheit der mazone ebenſo Träger
der Kraft wie der Körper des Jünglings. Und dieſes Suchen nach der
Schönheit des Zarten wird in Praxiteles das zweite Streben der eit.
lus ihm kann man verſtehen, warum all die Götter, die früher reife
Männer waren, wie etwa hermes oder Dionnſos, jezt als Jünglinge
dargeſtellt werden, die Kraft ſtarken Stehens jetzt der rund, faſt weib-
lich ausgebogenen hüfte über läſſig ſtehenden Beinen, die große Ruhe
des Geſichts weicher Süße Plaz macht und die nackte Frau nun höchſte
ufgabe der Kunſt wird. Praxiteles wagt hier noch nicht alles. Er
muß für die Nacktheit noch nach einer Begründung ſuchen und läßt
ſeine knidiſche lphrodite eben das Gewand ablegen, um ins Bad zu
ſteigen. Aber von ihm ab wird die nackte Schönheit der Frau Selbſt-
zweck. Es tritt eine Verweichlichung ein, die ſich auf den Grabſtelen
in faſt ſchon ſentimentalen lbſchiedsſzenen äußert und als erſter Vor-
läufer des Realismus eine Genrekunſt entwickelt, die beſonders in den